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04.12.2019 von Katrin Wohlwend

Der Mensch im Zentrum

Die Alternative Bank Schweiz hat im Sommer 2019 eine externe ­be­triebliche Sozialberatung für ihre Mitarbeitenden eingeführt. Warum?


Beitrag der ABS
Artikel in Thema Mensch, KMU!
«Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen an» – mit diesen, bei Max Frisch geliehenen Worten besang der Musiker Cem Karaca die Situation von Menschen, die ab den 1960er-Jahren aus der Türkei als so­genannte Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Karaca kritisierte, dass allein die Effizienz der Arbeite­rinnen und Arbeiter zählte, nicht aber ihre Bedürf­nisse oder Interessen. Der Vergleich mit der Lebenswelt, die Karaca beschreibt, mag unangemessen sein. Arbeit­geber und Arbeitgeberinnen inspirieren – das kann das Sprachbild von Max Frisch dennoch.
Die Alternative Bank Schweiz (ABS) möchte eine menschenfreundliche Arbeit­geberin sein, und zwar deutlich über das gesetzliche ­Minimum hinaus. In den Grundsätzen ihrer Personalpolitik definiert sie es als «wichtige Führungsaufgabe», ein motivierendes Betriebsklima zu schaffen, und hält fest: «Die Arbeitsbedingungen der ABS bieten eine gute ­Lebensqualität.» Im Sommer 2019 ist die Bank einen grossen Schritt weiter in diese Richtung gegangen: Neu können alle Mitarbeitenden gratis und anonym eine ­externe betriebliche Sozialberatung in Anspruch nehmen. Im Notfall sogar rund um die Uhr.

Berufliches und Privates sind oft eng miteinander verwoben

Durchgeführt wird die Beratung von Proitera. Die Firma ist in der ganzen Schweiz tätig und bringt 20 Jahre Er­fahrung in der betrieblichen Sozialberatung mit. Die ABS zahlt eine Jahrespauschale für die Dienstleistung. Dafür können sich ABS-Mitarbeitende jederzeit unbürokratisch an die Beraterinnen und Berater von Proitera wenden. Im Unterschied zu einer klassischen Ombudsstelle deckt die betriebliche Sozialberatung auch private Themen ab, etwa die Gesundheit, die familiäre Situation oder persönliche Lebenskrisen.
«Unsere langjährige Erfahrung mit sehr unterschied­lichen Firmen zeigt: Berufliche und private Schwierig­keiten sind häufig eng miteinander verwoben», sagt Jelena Nikles, Geschäftsleiterin bei Proitera. «Betriebliche Sozial­beratung setzt die richtigen Impulse, um in schwierigen Situationen die Probleme professionell anpacken zu ­können – bevor die Arbeit unter dem Privaten leidet oder umgekehrt.» Nimmt ein Mitarbeiter oder eine Mitar­beiterin der ABS mit Proitera Kontakt auf, wird dies vertraulich behandelt. Die ABS als Auftraggeberin ­erhält nur einen sehr allgemeinen quantitativen Bericht, der keine Rückschlüsse auf Personen oder Abteilungen zulässt.
Jelena Nikles, Geschäftsführerin von Proitera (Foto: zVg)

Hinschauen und handeln

Yannick Reusser, Mitarbeiter der Fachstelle Personal bei der ABS, hat auf Seite der Bank die Einführung der betrieblichen Sozialberatung koordiniert. «Der ganz­heitliche Ansatz ist die Stärke des Konzeptes und war für uns ein wichtiges Kriterium», erklärt er. Eingebettet sei die Massnahme in den Aufbau ­eines umfassenden betrieblichen Gesundheitsmanagements bei der ABS. «Dass wir dies vorantreiben, liegt auch an  Entwicklungen, die uns Sorgen bereiten», sagt Yannick Reusser. «So haben sich die durchschnittlichen Krankheitstage pro Person im Betrieb von 8,7 im Jahr 2017 auf 10,6 im Jahr 2018 erhöht.»
Dieser Wert ist im landes­weiten Vergleich hoch: In der Schweiz fehlt ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin im Durchschnitt circa 7,1 Tage wegen Krankheit oder Unfall am Arbeits­platz. Der tatsächliche Zusammenhang zur Arbeits­situation müsse zwar im Einzelfall untersucht werden, erläutert Yannick Reusser. «Dennoch hat uns diese Entwicklung veranlasst, den Aufbau eines betrieblichen Gesundheitsmanagements, das Präven­tion und früh­zeitige Intervention im Fokus hat, weit oben auf unsere Agenda zu setzen.»
Als soziale Arbeitge­berin möchte die ABS genau ­hinschauen und umfassend verstehen, wo der Schuh drückt. Deshalb hat die Bank im Herbst 2019 auch an der Job-­Stress-Analyse der Gesundheitsförderung Schweiz teilgenommen. «Die ­Auswertung der ­Analyse wird ­zeigen, welche Mass­nahmen zusätzlich zur Sozialberatung in der ABS ­notwendig und sinnvoll sind», sagt ­Yannick Reusser. «Die Job-Stress-Analyse wird uns helfen, dabei die richtigen Prioritäten zu setzen.»

Weitere Informationen

Proitera schreibt in einem Blog über aktuelle Entwicklungen in der betrieblichen Sozialberatung und Praxisbeispiele: proitera.ch/blog
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