988
20.06.2018 von Pieter Poldervaart

Hebel für mehr Nachhaltigkeit

Während Firmen gern einzelne Produkte als nachhaltig bewerben, fehlen oft Informationen zur ökologischen und sozialen Wirkung eines Unternehmens als Ganzes. Nicht nur der Markt, auch Ratings und internationale Regulierungen machen Druck, dass Firmen transparenter und ihre Nachhaltigkeitsleistungen mess- und vergleichbar werden.

Artikel in Thema Transparenz
Sieben Jahre alt wurde «Chiara», sechs Sommer konnte sie auf der Alp verbringen. Drei Kälber brachte die Angus-Kuh in ihrem Leben auf einem Hof in Trun in der Surselva zur Welt. Nach der Schlachtung wurde das Fleisch in Rotwein, Schweizer Alpensalz und Gewürzen – auf Pökelsalz wird bewusst verzichtet – eingelegt und anschliessend fünf Monate zum Trocknen aufgehängt. Nun wartet «Chiara» im Laden der Firma Alpenhirt auf den Verkauf. «Meine Bio-Tiere suche ich persönlich in der Region aus und achte darauf, dass sie zur Schlachtung möglichst nicht länger als 20 Kilometer transportiert werden müssen», sagt Adrian Hirt, Inhaber des 2014 gegründeten Jungunternehmens. Diese Informationen gibt er auch direkt an seine Kundschaft weiter: Wer Trockenfleisch im Lädeli in Tschiertschen, per Onlineshop oder bei einem Wiederverkäufer ersteht, kann anhand der Produktnummer den online gestellten Lebenslauf des Tiers verfolgen.

Deklaration bleibt freiwillig

Was die Firma Alpenhirt unter dem Schlagwort «Kuhtransparenz» in eigener Regie umsetzt, ist allerdings äusserst aufwendig und daher für Grossfirmen mit einem Vollsortiment kaum machbar. Als bewährtes Instrument, ökologische oder soziale Leistungen zu kommunizieren, haben sich deshalb Labels für einzelne Produktgruppen durchgesetzt. Allein die vom Verband Pusch verwaltete Plattform labelinfo.ch gibt Details zu 135 Gütesiegeln und 19 Deklarationen, die Hälfte davon betreffen Fleisch und andere Lebensmittel. Das Informationsangebot wird vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) ebenso unterstützt wie etwa die für Planer, Architekten und Ingenieure erstellte Plattform «Ökobilanzdaten im Baubereich». Allerdings sind solche Deklarationen meist schweizspezifisch. Damit die Transparenz in Zukunft nicht mehr an der Landesgrenze endet, engagiert sich das Schweizer Umweltamt seit 2013 in mehreren EU-Arbeitsgruppen für die Erarbeitung europaweiter Bewertungsregeln für verschiedene Produktgruppen. Zwölf solche Regeln – beispielsweise für Haustierfutter, Batterien und Teigwaren – liegen bereits vor, andere sollen noch folgen. Die betroffenen Industrien machen freiwillig mit. «Die beteiligten Akteure haben entschieden, dass es für diese Bewertungsregeln keine verbindlichen Kommunikationsvorschriften gegenüber den Konsumentinnen und Konsumenten geben wird», relativiert Geneviève Doublet von der Bafu-Sektion Konsum und Produkte das Ergebnis.

Keine verbindlichen Regeln in der Schweiz

Wie weit kommt die Wirtschaft der Forderung nach mehr Transparenz also tatsächlich nach? Peter Teuscher ist Gründer und Geschäftsleiter von BSD Consulting, einer Firma, die Unternehmen hilft, ihre sozialen und ökologischen Knackpunkte zu erkennen, sinnvoll darüber zu kommunizieren und Strategien zur Verbesserung zu entwickeln. «Seit Anfang Mai ist in der EU eine Regelung in Kraft, die grössere Unternehmen verpflichtet, nicht nur über den Finanzgang, sondern auch über relevante nicht finanzielle Angelegenheiten zu informieren», sagt Teuscher. Thematisiert werden die Bereiche Umweltbelange, Soziales und Mitarbeiteraspekte, Achtung der Menschenrechte, die Bekämpfung von Korruption und Bestechung sowie Diversität, also das Anstreben einer vielfältigen Zusammensetzung der Belegschaft. Die Schweiz warte allerdings mit einer analogen Vorschrift noch die ersten Erfahrungen aus der EU ab. «Bisher hat unser Land auf Vorschriften punkto nicht finanzielle Berichterstattung praktisch verzichtet», so Teuscher. Immerhin können seit Mitte 2017 an der Schweizer Börse SIX Swiss Exchange dort gehandelte Unternehmen ihren Nachhaltigkeitsbericht melden. Gleichzeitig verpflichtet sich eine solche Firma, den Bericht nach einem international anerkannten Standard zu erstellen und mindestens fünf Jahre auf der eigenen Website zugänglich zu halten. «Es bleibt aber vorerst bei der Freiwilligkeit. Dies sowohl in Bezug auf die Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts wie auch betreffend Meldung bei der SIX», beobachtet Teuscher. Tatsächlich haben sich bis heute denn auch erst 12 der 256 kotierten Firmen für diese Option entschieden, darunter Credit Suisse, Swisscom, Swiss Life oder Warteck Invest. «Eine stärkere Beteiligung könnte zumindest eine gewisse Signalwirkung haben und auch nicht börsenkotierte Unternehmen dazu bringen, mit ihrer Nachhaltigkeitsberichterstattung nachzuziehen.» International habe sich für diese Kommunikation der Raster der Global Reporting Initiative (GRI) bewährt, der helfe, die ökologischen und sozialen Leistungen von Firmen zu vergleichen.

Aufgrund des Pariser Abkommens kann man herunterrechnen, wie viel klimarelevante Emissionen ein Land oder eine einzelne Firma ausstossen darf.

Selbst Firmen, die ihre Berichte gemäss GRI abliefern, sind nicht per se nachhaltiger – sondern sie dokumentieren bloss ihr Geschäftsgebaren besser. «Erst echte Massnahmen für Verbesserungen verringern den negativen Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft. Dabei hilft die Transparenz mit einer strukturierten und nachvollziehbaren Darstellung der Ziele und Massnahmen», betont Teuscher. Ohnehin lasse sich aktuell nur an einem Kriterium messen, wie weit ein Unternehmen global gesehen nachhaltig wirtschafte: beim CO2-Ausstoss. «Aufgrund des Pariser Abkommens kann man herunterrechnen, wie viel klimarelevante Emissionen ein Land, eine Branche oder eben eine einzelne Firma ausstossen darf, um das international vereinbarte Erwärmungsziel von maximal 1,5 Grad einzuhalten.» Nachhaltigkeit umfasst aber eine ganze Palette weiterer Parameter, vom Verbrauch von Ressourcen wie Land oder Wasser über die soziale Gerechtigkeit bis hin zur Einhaltung der Menschenrechte. Nicht nur die Vielzahl dieser Ansprüche bremst den Wandel zur Nachhaltigkeit in der Wirtschaft. Auch die Kurzfristigkeit des Denkens in vielen Führungsetagen steht Teuscher zufolge der langfristigen Zielerreichung entgegen. So liege etwa der Horizont der «Ziele für nachhaltige Entwicklung» (Sustainable Development Goals, SDG), die bis 2030 umgesetzt sein sollen, für viele Manager in weiter Ferne. Teuscher: «Der Druck von Gesetzgeber und Konsumenten bleibt darum wichtig.» Zumindest indirekt mehr Transparenz bringen könnte die Annahme der Konzernverantwortungsinitiative.

Drei Treiber für mehr Transparenz

Welche Schritte die globale Wirtschaft bereits in Richtung Nachhaltigkeit gemacht hat, untersucht die «Oekom Corporate Responsibility Review 2018». Darin vergleicht das Unternehmen ISS-Oekom bereits zum zehnten Mal die ökologische und soziale Performance von über 3900 Firmen weltweit. Seit 2013 wurde bei 2300 Firmen das Instrument «Sustainability Solutions Assessment» angewendet, das zeigt, wie viele Firmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen zur Erreichung der SDG beitragen. Das Ergebnis: 36 Prozent der untersuchten Firmen helfen, dem Ziel näher zu kommen, während 22 Prozent den SDG entgegenwirken. Punkto Branchen liegen Konsumgüter, Gesundheitsdienstleistungen und Halbleiterindustrie vorn. Anders als in der Schweiz, wo die beiden dominanten Grossverteiler in Nachhaltigkeit Vorbildcharakter haben, bildet im internationalen Vergleich der Detailhandel zusammen mit der Immobilienbranche das Schlusslicht. Doch was ist der Auslöser dafür, dass sich Firmen vermehrt mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen? Eine Umfrage der ISS-Oekom zeigt, dass Ratingagenturen mit 61,3 Prozent der wichtigste Treiber sind, gefolgt von Kunden (60,3 Prozent) und dem Gesetzgeber (56,3 Prozent). «Nötig ist somit die Gesamtheit aller Instrumente», konstatiert Dieter Niewierra, Sprecher von ISS-Oekom.
Dass es im Einzelfall auch ohne Gesetzgeber und Ratingagentur geht, zeigt die Firma Alpenhirt. Das Fleisch des Angus-Rinds «Chiara» erzielt in Form der 190 Gramm schweren Trockenwurst «Farurer Baron» den stolzen Preis von 26.60 Franken. Doch die Kundschaft schreckt das nicht ab. Das Wissen um das gute, lange Leben der Kuh und die regionale Wertschöpfung sind den Mehrpreis wert. Und der exzellente Geschmack des Trockenfleisches spricht für sich.

Konzernverantwortungsinitiative als Druckmittel

Während die Umweltbelastung im Inland abnimmt, exportiert die Schweiz immer mehr Emissionen. 2001 fielen laut Bundesamt für Umwelt 73 Prozent der von der Schweiz verursachten Umweltbelastung im Ausland an – 1996 waren es noch 56 Prozent. Dieser Trend, aber auch das Geschäftsgebaren von Schweizer Konzernen im Ausland generell hat zur Lancierung der 2016 eingereichten Konzernverantwortungsinitiative geführt. Das inzwischen von 80 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützte Begehren verlangt für Unternehmen mit Sitz in der Schweiz eine verbindliche Sorgfaltspflicht punkto Ökologie und Menschenrechte: Unternehmen müssen abklären, welche Risiken für Menschenrechte und Umwelt aus ihrer Geschäftstätigkeit entstehen und gegebenenfalls Massnahmen zur Reduktion einleiten. Kommt es dennoch zu Verletzungen von Menschenrechten oder zu Umweltschäden, muss transparent dokumentiert werden, was die Firma dagegen unternimmt. In der Sommersession 2018 wird im Parlament ein indirekter Gegenvorschlag zur Volksinitiative diskutiert. Das Ergebnis der Debatte war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Wird die Initiative nicht zurückgezogen, gelangt sie voraussichtlich 2019 zur Abstimmung.

www.konzern-initiative.ch

Artikel ausdrucken