Wohnen im Containerformat

Wer bei Regina Lorenz zu Besuch kommt, macht bloss einen Schritt – und steht schon in der Stube. Einen Schritt nach links befindet sich das mit Schiebewand verschliessbare Badezimmer. Rechts beginnt nach zwei Metern ein 20 Zentimeter hohes Podest, auf dem hufeisenförmig eine komplette Küche installiert ist. Und wer einen zweiten Schritt ins Innere der Wohnstatt macht, steigt links neun Stufen hoch und steht vor dem knapp einen Meter hohen Schlafpodest, das exakt über dem Badezimmer angelegt ist und mit Dach- und Seiten­fenster viel Tages- oder auch Nachtlicht hereinlässt. In Küchenpodest und Treppenstufen sind zahlreiche Schub­laden eingelassen, die Platz für den Alltagskram bieten. Gerade mal 32 Quadratmeter misst der Grundriss des Tiny Houses, in dem Regina Lorenz seit Sommer 2022 wohnt. 12,2 mal 2,4 Meter misst auch ein ISO-Normcontainer, und das ist kein Zufall: Das Eigenheim hat damit genau die richtigen Masse, um per Lastwagen trans­portiert zu werden – so auch nach Nuglar. Dort wurde es auf gut einen Meter hohen Stelzen fixiert und an Wasser, Abwasser und Strom angeschlossen. 

Wohnen nah bei der Arbeit
Dass Lorenz seit einem Jahr auf kleiner Fläche lebt, hat mit ihrem Beruf zu tun: Seit 2018 unterrichtet die 47-Jährige als Primarlehrerin in der 1500-Seelen-Gemeinde Nuglar-St. Pantaleon, die zum Kanton Solothurn gehört. Anfangs pendelte sie mit dem Auto aus Kleinbasel ins Dorf. «Doch der Arbeitsweg begann mich zu belasten.» Regelmässige Veränderungen gehören zum Leben der ausgebildeten Polizistin, die über Tätigkeiten in der Spitex, in einem Kinderheim und einer abgebrochenen Ausbildung in Sozialarbeit zum Lehrerinnenberuf kam. Bevor sie die Stelle in Nuglar antrat, lebte sie sieben Monate im Iran, trekkte vier Monate auf einem Weitwanderweg, übernachtete dabei höchstens einmal die Woche in einem Hotel und kam in Schlafsack und Zelt der Natur wieder näher. «Diese Natur gibts auch in Nuglar noch, viel Grün, Ruhe, den Sternenhimmel.» 
Vor drei Jahren stiess Lorenz auf das Konzept des Tiny Houses. Sie recherchierte im Netz und war bald so fasziniert, dass sie dem Verein Kleinwohnen Schweiz beitrat und nach Deutschland pilgerte, wo der Markt für dieses minimale Wohnen damals boomte. Je länger Lorenz sich mit der «Kleinwohnform» auseinandersetzte, desto klarer wurde ihr: Erst muss der Platz her, dann das Haus. So spazierte sie durch ihren Arbeitsort, fahndete nach passenden Freiflächen und suchte das Gespräch mit der Dorfbevölkerung. Schliesslich wurde sie auf eine Parzelle mit Geissenunterstand aufmerksam, einigte sich mit dem Landbesitzer, unterschrieb einen zehnjährigen Pachtvertrag – und machte sich auf Geldsuche.

Ein Symbol für die Werte der ABS
«Anders als Wohneigentum, sind Tiny Houses rechtlich keine Liegenschaften, sondern eine Anschaffung wie andere auch. Die Person besitzt den Boden ja nicht, wir können deshalb keine Hypothek darauf geben», erklärt Peter Senn, der sich bei der ABS als Berater auf diese Kleinwohnform spezialisiert hat. Deshalb behelfe man sich mit einem Darlehen – wobei die Sicherheit fehle und die Bank deshalb ein gewisses Risiko eingehe.
Die ABS finanziert aber längst nicht jedes Tiny House, jenes in Nuglar ist erst das zweite. Bedingung ist, dass nicht einfach auf der grünen Wiese gebaut wird, sondern eine Baulücke genutzt und so ein kleiner Beitrag gegen die Zersiedelung geleistet wird. Weiter muss das Minihaus selbst bewohnt werden – einfach ein Tiny House im Garten zu errichten und via Airbnb zu vermieten, geht ­also nicht. 
Tatsächlich ermöglichte erst der ABS-Kredit von 130 000 Franken das Projekt von Regina Lorenz. Die ABS ist damit ein Sonderfall: Wie eine im Sommer publizierte Bachelorarbeit zeigt, offeriert aktuell nur die ABS die Möglichkeit, via Darlehen Tiny Houses, die nicht auf eigenem Boden stehen, zu finanzieren. Ein Grund für die Zurückhaltung der Banken sei auch, dass sich der Weiterverkauf solcher Kleinwohnformen noch nicht etabliert habe, meint Senn. «Neben den fehlenden Möglichkeiten für Darlehen ist weiter das Gesetz ein Problem, das für diese Wohnform dieselben Baunormen wie Energienachweis oder Hochwasserschutz vorschreibt wie für ein normales Einfamilienhaus.»

Reduziert – auch beim Hausrat
Nachdem die Finanzierung unter Dach und Fach war, plante Lorenz zusammen mit dem auf Kleinwohnformen spezialisierten Architekten Alesch Wenger die Verwirk­lichung ihres Wohntraums. In Baden-Württemberg fanden sie einen Zimmermann, der zusammen mit einem Schreiner, einem Sanitär und einem Elektriker ihr Wunschhaus zusammenstellte. Bau, Transport, Verzollung und Instal­lationen läpperten sich auf 190 000 Franken. Etwas Geld sparen konnte Lorenz, indem sie die Umgebungsarbeiten selbst erledigte und Kompost sowie Regenwassertonne montierte. Geheizt wird mit einem Pelletofen. Ihr Lieblingsplatz ist übrigens am Abwaschbecken: «Hier blicke ich direkt auf die Dorfstrasse. Und auf der anderen Strassenseite, bei den Ziegen und Hühnern, läuft immer was.» Die grosszügigen Fenster auf drei Seiten lassen das Wohnen im Containerformat offener und weiter erscheinen, als es tatsächlich ist.
Doch wie passt der Hausrat der früheren Dreizimmerwohnung mit Estrich- und Kellerabteil in einen Schiffscontainer? Tut er nicht, weiss Lorenz: Schon ein halbes Jahr vor ihrem Umzug startete sie mit dem Ausmisten, gab günstig oder gratis ab, was sie nicht zwingend behalten wollte. Seither überlegt sie sich ausgiebig, ob sie sich einen Gartengrill («nein») oder ein Sonnensegel («ja») anschaffen will. Gewisse Werkzeuge kauft sie im Dorf-Brocki respektive leiht sie für ein paar Franken und bringt sie nach Gebrauch wieder zurück. «Das Shoppen habe ich mir komplett abgewöhnt. Geht etwas kaputt, ersetze ich es in guter Qualität.» Und Zelt und Schlafsack? Die liegen gut verpackt im Stauraum unter dem Tiny House, den die Stelzen bilden und wo auch Platz für Roller und Velo ist. Einpacken könnte sie auch gleich das ganze Haus, es auf den Lastwagen verladen und zu einem neuen Stellplatz liefern lassen. So viel Freiheit muss sein.

Weitere Informationen zu Tiny-House­-Finanzierungen bei der ABS finden Sie unter: abs.ch/tinyhouse