Ein Fallschirm für den Pionier

Hätte Roland Eberle im Jahr 1984, als er gerade das ­Hotel Balance gründete, eine Zeitreise ins Jahr 2020 machen können – er hätte gestaunt. Und Kraft getankt für die arbeitsreichen Jahre, die folgten. Denn zwei seiner Lebensthemen – in den 1980er-Jahren noch ge­sellschaftliche Randerscheinungen – sind heute in der Mitte der Gesellschaft angekommen: die biologische Landwirtschaft und die vegetarische Ernährungsweise. Im Mai 2020 verkündete Bio Suisse, der Dach­verband der Schweizer Bio-Produzenten mit der Marke «Knospe», einen Meilenstein: 2019 hatte der Markt­anteil von Bio-Lebensmitteln in der Schweiz erstmals die 10-Prozent-Marke überschritten. 7300 Betriebe in der Schweiz und Liechtenstein produzieren nach den Richtlinien der Knospe. Und die vegetarische und ­vegane Ernährung ist europaweit auf dem Vormarsch.
1984 sah die Welt ganz anders aus: Es gab kaum ­biologisch produzierende Bäuerinnen und Bauern, geschweige denn Bio-Supermärkte oder Bio-Labels. Und Vegetarierinnen und Vegetarier galten noch als ziemlich exotische Gestalten. Für den heute 67-jährigen Roland Eberle waren eine vegetarische Ernährung und die Bio-Produktion von Lebensmitteln damals schon wichtige Aspekte der eigenen Lebensgestaltung. «Mit dieser Einstellung konnte ich nirgendwohin in die Ferien», erinnert sich der Ostschweizer an diese Zeit. «Hotels, die vegetarisches Bio-Essen anboten, gab es praktisch nicht.» Sein damaliger Beruf als KV-Lehrer in einer Abendschule erfüllte den gelernten BWLer schon länger nicht mehr. Und so entschloss er sich vor 36 Jahren zu dem Wagnis: In dem kleinen Walliser ­Bergdorf Les Granges entstand auf 1100 Metern Höhe das erste vegetarische und biologische Hotel der Schweiz.

Als sechs Jahre später die Alternative Bank Schweiz (ABS) gegründet wurde, klopfte Roland Eberle sofort an, um mit dem Hotel Kunde der ABS zu werden. Doch die junge Bank, die ja selbst auch ein Experiment war, schätzte das Risiko als zu hoch ein. Wiederum sechs Jahre später war es dann möglich. Und so gehört das Hotel Balance heute zu den ältesten Kunden der ABS. Eine Vielzahl von Weiterentwicklungen und Investitionen ­wurde seither in dieser Partnerschaft realisiert. «Genau wie die ABS wollte ich immer zeigen, dass Nachhal­tigkeit und Wirtschaftlichkeit sich nicht ausschliessen», ­erklärt Roland Eberle. Mit dieser Vision im Gepäck ­machte er das «Balance» zu dem, was es heute ist, und ­hat dabei seit 1987 seine heutige Ehefrau Ulrike Eberle­-Schatzmann an seiner Seite. Das vegetarische Bio-­Essen ist das Herzstück des Hotels. Aber Nachhaltigkeit ist in allen Bereichen wichtig: Auch beim Mobiliar, bei den Reinigungsmitteln sowie bei Renovationen oder Umbauten achtet Roland Eberle auf umweltfreundliche Materialien. Der Naturpool wird durch die Sonne gewärmt und kommt ohne chemische Produkte wie Chlor aus. Die hauseigene Photovoltaik-­Anlage produziert 50 Prozent des eigenen Energiebedarfs.

Dass das Hotel Balance in der heutigen Zeit eine Vielzahl von Menschen anspricht, verwundert angesichts der oben zitierten Zahlen von Bio Suisse nicht. Doch wer waren zu Gründungszeiten die Gäste dieses, seiner Zeit weit voraus geeilten Gasthauses? Und woher stammten die Zutaten für die – für damalige Verhältnisse – ungewöhnliche Verpflegung? «Ich habe an verschiedenen Orten in der Schweiz Kochkurse gegeben und die Teilnehmenden waren oft meine späteren Gäste», erklärt Roland Eberle. «Und ich war ja allein auf weiter Flur mit meinem Angebot.» Für die Beschaffung der Produkte habe die Kooperation mit AVG Bio-Gemüse in Galmiz geholfen, die damals schon auf biologische Weise Saatgut produzierte und jene landwirtschaftlichen Betriebe kannte, die Bio-Produkte liefern konnten.

Diese Pionierzeit liegt mehr als drei Jahrzehnte zurück. Das «Balance» ist heute beliebt bei Individualgästen und Seminargruppen. Eigentlich war Roland Eberle gerade damit beschäftigt, seine Nachfolge zu regeln, als die Corona-Pandemie auch in der Schweiz das Leben auf den Kopf stellte. «Seit Mitte März haben wir keine Gäste mehr», erklärt er. «Das Timing könnte kaum schlechter sein, denn im März beginnt bei uns sonst die Saison.» Sofort nachdem der Bundesrat die Notverordnung auf den Weg gebracht hatte, bean­tragte Roland Eberle bei der ABS einen Covid-19-Kredit. Zusätzlich traf er mit der ABS die Vereinbarung, dass er die Rückzahlung bereits laufender Kredite ab Juni aussetzen kann. Beides zusammen, der Covid-19-Kredit mit Bürgschaft vom Bund und die Möglichkeit, mit den Rückzahlungen von ABS-Krediten zu pausieren, sind ­angesichts der hohen monatlichen Fixkosten starke Auffangnetze. «Noch habe ich die Hoffnung, dass wir sie vielleicht gar nicht brauchen, dass wir es allein schaffen und den Covid-19-Kredit grad wieder zurückzahlen ­können.» Aber es mache Mut, dass es diese Fallschirme gebe, betont Roland Eberle:

Ein Projekt aus dem ABS-Förderbereich: 

Weitere Infos: hotel-balance.ch