«Niederschwellig» dank offener Atmosphäre
Die Klinik Schützen ist eine Privatklinik, die aber – wie es in der Schweiz üblich ist – sowohl privat und halbprivat als auch allgemein Versicherte behandelt. Und obwohl man sich hier auch in einem gehobenen Hotel befindet, ist «niederschwellig» ein Wort, das Hanspeter Flury immer wieder verwendet, wenn er von der Klinik spricht. Er erklärt es so: «Menschen, die eine stationäre Behandlung brauchen, suchen diese oft nicht, weil die Vorstellung, in eine psychiatrische Klinik einzutreten, sie abschreckt. Hierherzukommen, ist ein weniger grosser Schritt. Man ist zwar in einer Klinik, aber die Atmosphäre ist anders, offener, eben weil wir auch ein Hotel sind und ein Ort, an dem Seminare abgehalten werden.» Tatsächlich fühlt man sich hier weit entfernt von einer Psychiatrie, die stigmabehaftet ist.
Im Unterschied zu den Hotelgästen bezahlen jene, die für einen Klinikaufenthalt nach Rheinfelden kommen, die Kosten nicht selber. Psychiaterinnen und Psychiater weisen in Absprache mit der jeweiligen Krankenkasse jene Patientinnen und Patienten zu, bei denen sie eine stationäre Behandlung für notwendig erachten. Mit jeder zugewiesenen Person gibt es dann ein Vorgespräch. «Wir schauen das Problem an und besprechen gemeinsam, was es braucht», sagt Hanspeter Flury. Daraus resultieren Abmachungen für eine freiwillige Behandlung, die in der stationären Klinik in der Regel drei bis sechs Wochen dauert.
Die meisten der erwachsenen Patientinnen und Patienten (das Mindestalter bei Eintritt ist 18, in Ausnahmefällen 16) kommen mit einem Burn-out respektive einer Erschöpfungsdepression, viele auch mit einem Trauma. Flury bemerkt nebenbei: «Wir haben eine Warteliste wie nie zuvor.» Auch Angststörungen nähmen zu, bedingt nicht zuletzt durch Kriege, Klimawandel und wirtschaftliche Unsicherheiten.
Finanzielle Probleme als psychische Belastung
Speziell belastend seien für Menschen zudem finanzielle Probleme, «psychische Probleme sind oft daran gekoppelt», sagt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, der nach wie vor auch direkt mit Patientinnen und Patienten arbeitet. Arbeitslosigkeit sei denn auch die grössere Gefahr für die psychische Gesundheit als Stress, «wenig Geld ist überhaupt ein Risikofaktor, und ganz schlimm ist Verschuldung und erschwerter Zugang zu Bildung». Rückzug sei eine Folge davon, aber auch gesellschaftlicher Ausschluss und schliesslich Vereinsamung und Scham. «Man fällt aus Kontakten raus, insbesondere im Abstieg. Das ist brutal. Da gibt es viel Teufelskreis-Gefahr.» Viele täten sich schwer damit, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Die sozialen Ressourcen – eigene und solche von aussen – sowie das Gesundheitsverhalten seien aber auch Punkte, an denen man therapeutisch ansetzen könne: «Eine Patientin sagte im Vorgespräch: ‹Am 15. Mai bringe ich mich um. Dann muss ich aufs Sozialamt.› Es gelang mittels Sachhilfe, sie vor dem Konkurs zu bewahren», erzählt Flury, «so konnten wir mit ihr an der Scham arbeiten, und schliesslich kam sie aus der Depression heraus.»
Die Palette der Therapien in der Klinik Schützen ist vielfältig und reicht von klassischen Einzel- und Gruppengesprächen über Ergotherapie bis zu Fitness-, Kreativ- und Expressivtherapien. Sie alle dienen nicht zuletzt auch der Stärkung der eigenen Ressourcen. «Alle erhalten einen individuellen Therapieplan, den sie auf dem Handy greifbar haben», sagt Flury, ebenso, dass der Plan im Verlauf des Prozesses angepasst werde. Das Programm sei intensiv, man arbeite auch mit Angehörigen zusammen und wenn nötig mit der dafür zuständigen Person am Arbeitsort. Bei aller Niederschwelligkeit – eine Einschränkung gebe es, sagt Flury: «Für Menschen, die auffällig krank sind, etwa mit einer akuten Psychose, ist die Klinik Schützen nicht der richtige Ort – dafür sind wir zu offen.»
Druck auf Leistungserbringende nimmt zu
Seit ihrer Wiedereröffnung ist die Klinik mit ihren rund 100 Betten und 50 weiteren für externe Hotellerie grösser als zuvor. Eine Tagespauschale, in der alles enthalten ist, deckt die Kosten des Aufenthalts – sie liegen im Schnitt um die 700 Franken pro Tag und sind damit im üblichen Rahmen. Die grosse Warteliste deutet darauf hin, dass die Klinik gut läuft. «Ja», bestätigt Flury, «aber die Erwartungen an die Leistungen steigen ständig, gleichzeitig sollten die Kosten runter. Wir spüren, dass wir dauernd noch mehr quetschen müssen, um wirtschaftlich zu sein.» Gleichzeitig nehme der Aufwand für die geforderte Administration ständig zu. Dass sich in der Gesellschaft die Schere weiter öffne, die zwei Prozent der Reichsten stets noch reicher würden und der Mittelstand absacke, es mehr und mehr ärmere Menschen gebe: Das sei auch fürs Gesundheitswesen ein Problem. «Der Druck auf uns Leistungserbringende steigt, wir müssen immer mehr nachweisen. Das ist ein zentraler Grund, weshalb der administrative Aufwand so zunimmt.»
Nach dem Austritt aus der Klinik sind die Patientinnen und Patienten in der Regel so weit stabil, dass sie zurück in ihr gewohntes Umfeld gehen und falls nötig fortan ambulant weiter begleitet werden können.