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07.06.2023 von Katrin Wohlwend

«Martin Rohner, sind Mikro­kreditbanken per se werte­orientiert?»

Wie eng sind Mikrofinanz und werteorientierte Banken miteinander verbunden? Und sind Mikrokredite als Bankdienstleistung nur im globalen Süden relevant? Ein Gespräch mit Martin Rohner, Geschäftsleiter des internationalen Netzwerkes werteorientierter Banken, zu dessen Gründungsmitgliedern auch die ABS zählt.


Beitrag der ABS
Artikel in Thema Finanzielle Inklusion

Martin Rohner, in der 2009 gegründeten Global Alliance for Banking on Values (GABV) gibt es inzwischen Mitglieder auf allen Kontinenten. Wird der globale Süden im Netzwerk wichtiger?
Martin Rohner: Ja, während von den zehn Gründungsmitgliedern die meisten aus Europa stammen, haben wir inzwischen viele Mitglieder im globalen Süden. 2020 wurde bei der Jahreskonferenz in Bern die afrika­nische GABV-Sektion gegründet. Die Pandemie hat uns anschliessend gebremst. Dennoch haben wir inzwischen sechs Mitgliedsbanken in Nigeria, Uganda und Ghana, in der Demokratischen Republik Kongo und in Madagaskar. Es gab aber auch schon in der Gründungszeit Ausnahmen: Die BRAC Bank in Bangladesch zum Beispiel war von Anfang an dabei. Für Peter Blom von der Triodos Bank, dessen Vision wir die Gründung der GABV verdanken, war von Anfang an klar: «Global» – das heisst nicht nur Europa und die USA.


Mikrofinanz ist im globalen Süden wichtig bei der Armutsbekämpfung und finanziellen Inklusion. Sind Mikrokreditbanken per se werteorientiert?

Nein, man muss genau hinschauen. Wenn ­eine Bank profitorientiert ist, setzt sie dort an, wo sie am einfachsten Geld verdienen kann. In afrikanischen Kontexten heisst das häufig: in den urbanen Zentren bleiben und klassische Kredite an die Regierung und grosse Unternehmen vergeben. Wenn sich eine Bank aus dieser sicheren Zone ­heraus bewegt und dringend benötigte Finanzdienstleistungen im ländlichen Raum aufbaut, setzt das eine gewisse Werteorientierung voraus: Um ein Problem zu lösen, ­engagiert sich die Bank in einem Geschäftsfeld, in dem die Profitabilität noch unklar ist. Letztlich steht immer die Frage: Was sind die treibenden Werte? Profitorientierte ­Banken haben inzwischen gemerkt, dass sie mit Mikrofinanz zusätzliches Geld verdienen können. Sie machen das nicht aus einer Werteperspektive, um zum Beispiel Frauen Zugang zu Finanzdienstleistungen zu ermöglichen und Wege aus der Armut zu öffnen. Für uns bei der GABV ist das Wichtigste bei der Beurteilung einer Bank nicht ihre Produktpalette, sondern die Frage: Ist die Werteorientierung der Ausgangspunkt des ­Geschäftsmodells, oder ist der Profit die treibende Kraft? Bei Mikrofinanz ist beides ­möglich, ebenso wie bei konventionelleren Bankdienstleistungen. 


Foto: BRAC Bank Limited
Das Kleinunternehmen Bhuiyan Hasta Shilop Kendra (Bhuiyan Handicraft Center) befindet sich im ländlichen Raum in der Nähe der Stadt Dhaka, Bangladesch, und wurde mit ­einem Mikrokredit der BRAC Bank unterstützt. Die Näherinnen sind mehrheitlich Hausfrauen, die Teilzeit für das Unternehmen arbeiten und so ein Zusatzeinkommen für die Familie generieren.

Sind Mikrokredite und finanzielle In­­klu­sion nur im globalen Süden relevante Engagements für werteorientierte Banken? 
Es gibt dieses Bedürfnis auch in Europa. Die Frage ist, wie viele Menschen in einer Gesellschaft von grundlegenden Finanzdienstleistungen ausgeschlossen sind. Zum Beispiel vergibt unsere serbische Mitgliedsbank 3Bank Mikrokredite von ein paar Hundert Euro an Menschen im ländlichen Raum. Dort gibt es kaum Bankfilialen, und weite Reisen in die nächste Stadt können sich die wenigsten leisten. Deshalb suchen Mitarbeitende der 3Bank die Menschen mit mobilen Teams vor Ort auf. Mit den Mikrokrediten werden zum Beispiel Saatgut oder Gewächshäuser finanziert. Mit Blick auf die Migrationsströme in Europa sollten werteorientierte Banken aufmerksam verfolgen, ob sich deswegen die Exklusion in Westeuropa verschärft und sie dort aktiv werden müssen. Als Inspiration lohnt sich ein Blick in die USA. Dort enga­gieren sich einige GABV-Mitgliedsbanken stark für finanzielle Inklusion, wenn auch nicht mit der Vergabe von Mikrokrediten. Zum Beispiel die Spring Bank, ein neues GABV-Mitglied in der Bronx in New York: Sie ermöglicht Unternehmen und Familien den Zugang zu grundlegenden Finanzdienstleistungen in einem mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Quartier, das diesbezüglich stark unterversorgt ist – und das in einer der Finanzmetropolen der Welt! 
Die Sunrise Bank in Minneapolis ist ein weiteres gutes Beispiel: In den USA muss jede und jeder eine so genannte "Credit History" haben, die auf der Kreditkartennutzung basiert. Wenn man einmal aus diesem System fällt, wird es sehr schwierig, Zugang zu Finanzdienstleistungen zu erhalten. In den USA sind sehr viele Menschen in dieser Situation. Die Sunrise Bank vergibt auch bei Problemen in der Credit History eine Prepaid-Kreditkarte, mit denen sich die Betroffenen wieder eine positive Bewertung aufbauen können.


Unter anderem in der Schweiz sind es oft kleine Start-ups, die keinen Zugang zu ­Finanzierungen haben. Wäre das nach dem Vorbild der Mikrofinanz ein sinnvoller Fokus für werteorientierte Banken?

Jein, die beiden Zielgruppen sind nicht vergleichbar. Bei Mikrokrediten im globalen ­Süden sprechen wir von Millionen von Menschen mit dem gleichen Bedürfnis. Bei zwei Dutzend Start-ups hier hat jedes ein anderes Bedürfnis. Das lässt sich kaum standardisieren und somit als tragendes Business-Modell aufbauen. Deswegen sind hier oft kreative Lösungen ausserhalb des Kerngeschäftes der Banken gefragt, wie sie die ABS mit ihrem Verein Innovationsfonds bereits umsetzt. Ich hoffe, dass die Zinswende der ABS künftig wieder mehr Spielraum verschafft, um solche Engagements ausbauen zu können. 

Foto: GABV
Der Ökonom und ­Banker ­Martin Rohner ist Geschäftsleiter der Global Alliance for Banking on Values (GABV). Von 2012 bis 2020 war er ­Vorsitzender der Geschäftsleitung bei der Alternativen Bank Schweiz und repräsentierte als Vorstands­mitglied die europäischen Banken im Vorstand der GABV.
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