921
01.12.2017 von Muriel Raemy

Sich verändern, um die Welt zu verändern

Die NGO Brot für alle setzt sich für einen tiefgreifenden Wandel unseres Wirtschaftssystems ein. Eine wichtige Rolle spielt dabei ihr «Atelier für innere Transition» in Lausanne, dessen Leiter Michel Maxime Egger eine mutige kulturelle Revolution anregen will.

Artikel in Thema Freude
Brot für alle setzt sich im globalen Süden für einen Wandel der landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen ein. In der Schweiz führt die aus den reformierten Kirchen hervorgegangene NGO zusammen mit dem Hilfswerk Fastenopfer in den Wochen vor Ostern Sensibilisierungskampagnen durch. Zudem macht sie politische Lobbyarbeit und engagiert sich unter anderem für die Konzernverantwortungsinitiative. Laut Daniel Tillmanns, Medienverantwortlicher für die Westschweiz bei Brot für alle, stösst politisches Engagement allein aber an seine Grenzen. «Wir sind davon überzeugt, dass sich unsere Art, die Welt zu sehen, grundlegend ändern muss. Die Wirtschafts- und Umweltkrisen zeugen von einem tiefgreifenden Unwohlsein. Sich für ein verändertes Konsumverhalten einzusetzen – beispielsweise mit der Kampagne gegen Palmöl –, reicht nicht mehr aus.» So entstand im August 2016 die Idee, das Atelier für innere Transition zu gründen.

Vom Politischen zum Spirituellen

«Wir können die Welt nicht verändern, ohne uns selbst zu verändern.» Dieser Überzeugung ist Michel Maxime Egger, der Leiter des Ateliers, seit vielen Jahren. Der Soziologe, der sich der Ökotheologie verschrieben hat, schöpft seine Erkenntnisse aus den Weisheiten verschiedener Religionen und ganzheitlicher Denker wie Edgar Morin, Ken Wilber und Sri Aurobindo. Egger liess sich auch von den in den USA begründeten Bewegungen der Ökospiritualität und der Ökopsychologie inspirieren. Die Vorsilbe «öko» trifft den Kern von Eggers Denken und Handeln: «Wir sind Teil der Natur, und die Natur ist Teil von uns. Wenn wir ihr schaden, leiden wir. Die Umwelt zu schützen, reicht aber nicht aus. Es geht darum, von einem Wirtschaftssystem, das den Planeten auf einen Ressourcenlieferanten reduziert, auf ein neues System zu wechseln, das mit allem Lebenden in Einklang steht und es respektiert.» Es braucht einen Paradigmenwechsel oder – in den Worten von Egger – «eine mutige kulturelle Revolution». Das ist der Prozess, den das Atelier initiieren und begleiten möchte.

Gefühle umwandeln, Energien mobilisieren

Am Anfang steht die persönliche Veränderung. Das Atelier für innere Transition organisiert Weiterbildungen, die zurzeit vor allem in der Westschweiz angeboten werden. «Wir wollen den Teilnehmenden ermöglichen, ihre internen Ressourcen weiterzuentwickeln. Dazu gehört die Arbeit an Ängsten angesichts der derzeitigen und zukünftigen globalen Umwälzungen, an Gefühlen von Machtlosigkeit angesichts der Grösse und der Komplexität der Probleme, an Schuldgefühlen oder an der Trauer, die oft zu Lähmung und inkohärentem Handeln führt», erklärt Egger. Sich wieder mit der Erde zu verbinden, die Kraft seines Begehrens zu nutzen, um sich von Konsumzwängen zu befreien oder die Angst vor Mangel zu überwinden – all das gehört zu dem, was Egger als «compostage des émotions» bezeichnet: die Umwandlung von Gefühlen in mobilisierende Energien. Diese können dazu eingesetzt werden, eine neue Welt zu erdenken und zu erschaffen. «Die Gruppe ist für den Prozess essenziell. Die eigenen Gefühle mit anderen zu teilen, sich getragen und unterstützt zu fühlen, schafft Raum für Solidarität, Mitgefühl und Resilienz. Hier können auch vernetzte Gemeinschaften entstehen, die gemeinsam die Folgen der Wirtschafts- und Umweltkrisen angehen können.»

Eine neue innere Ökologie

Der persönliche Wandel kann so zum kollektiven oder sogar zum politischen Wandel werden. Das Atelier schlägt dazu den Begriff des «meditierenden Aktivisten» vor, der eine neue Daseinsform bezeichnet. Es geht um das Kämpfen für und mit, nicht nur um das Kämpfen gegen. «Der von Transition geprägte Aktivismus ruft zur Demut, zum Wohlwollen und zum Respekt gegenüber allen Lebewesen auf. Er ist weit entfernt von moralischen Zwängen. Im Gegenteil, indem man tiefe Dankbarkeit für die Schönheit und den Reichtum der Erde entwickelt, schafft man eine innere Ökologie, die den Wunsch nach Einfachheit nährt.» Michel Maxime Egger hat noch keine konkrete Vorstellung davon, was das Atelier bewirken wird. Neue lokale Initiativen? Ein Netzwerk von Menschen, welche die Kultur der Transition leben und als Multiplikatoren agieren? Etwas ist hingegen sicher: «Wenn ein Mensch seine innersten Wünsche lebt, empfindet er Freude.»
Artikel ausdrucken