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09.06.2022 von Florian Wüstholz

«Bitcoin ist nicht der grosse Gleichmacher»

Digitales Bezahlen wird immer wichtiger. Welchen Stellenwert ausgewertete Daten dabei haben und warum Kryptowährungen kaum eine Rolle spielen, ­erklärt die Soziologin Antonia Steigerwald.

Artikel in Thema Digitales Geld
Antonia Steigerwald ist Soziologin an der Universität Luzern. Sie forscht zu digitalem Bezahlen und wie aus den entstehenden Daten Wert geschöpft wird.

moneta: Antonia Steigerwald, Sie forschen zum digitalen Bezahlen. Warum ist das spannend?
Antonia Steigerwald In den letzten Jahren hat sich viel getan im Feld der Zahlungs­an­bieter. Digitales Bezahlen wird immer wichtiger, und es stehen immer mehr Möglichkeiten zur Verfügung, neben Plastik­karten auch digitale Karten und Wallets oder Bezahl-Apps. Die Debitkarte ist in der Schweiz seit 2021 das meistgenutzte Zahlungsmittel in Geschäften. Bezahl-Apps machen mit rund acht Prozent noch einen vergleichsweise geringen Teil aus, aber auch hier steigt die Bedeutung. 

Dabei entstehen aber auch eine Menge Daten, die sich auswerten lassen.
Das ist richtig. Bei Bezahl-Apps wie Apple Pay oder Twint entstehen spannende Daten, an denen Unternehmen natürlich inte­ressiert sind. Wir hinterlassen Einkaufs­his­torien, Personendaten und auch Informa­tionen über unsere sozialen Beziehungen. Sie werden gehandelt, ausgewertet und zur Grundlage für Marketing-Massnahmen und Kundenbeziehungsmanagement.

Da wären doch Kryptowährungen wie Bitcoin eine gute Alternative. Sie werben ja mit ihrer Anonymität.
Das halte ich für einen Trugschluss. Natürlich können Bitcoin-Transaktionen ohne Klarnamen getätigt werden. Aber pseudonym ist nicht gleich anonym. Einzelne 
Wallets lassen sich durchaus mit echten Personen verknüpfen, insbesondere für die Plattformbetreibenden, die den Kauf von Kryptowährungen ermöglichen. Zudem sind die Transaktionen in der Blockchain öffentlich. Diese lassen sich aus­werten, um Muster zu erkennen, Netzwerke zu bilden oder die Verhaltensweisen von Menschen herauszulesen.

Bei Bitcoin können Nutzerinnen und Nutzer das aber deutlich erschweren.
Durchaus, aber wer macht sich diese Mühe? Bereits heute ist der Zugang zu Kryp­to­währungen als Zahlungsmittel voraus­setzungsreich. Es braucht Wissen, Infra­struktur und den Zugang zu einer Plattform. Bitcoin ist also nicht der grosse Gleichmacher, sondern ein Business, von dem die Plattformbetreibenden am meisten profitieren. 

Also sind Kryptowährungen nicht die Zukunft des digitalen Bezahlens?
So allgemein kann man das nicht sagen. Es gibt aktuell etwa 20 000 Kryptowährungen. Als reguläres Zahlungsmittel sind meines Wissens keine etabliert. Natürlich gibt es gewisse digitale Marktplätze, bei denen Kryptowährungen relevanter sind – zum Beispiel beim Erwerb digitaler Angebote im Metaverse.

Aber bei Starbucks kann ich mit Bitcoin einen Kaffee und bei Digitec eine neue Kamera kaufen.
Ja, aber nur wenige nutzen diese Optionen. Die Preisschwankungen schränken die Nützlichkeit als Bezahlmedium ein. Ich denke, es geht den Unternehmen mehr darum, ihre Offenheit gegenüber der Tech­nologie zu signalisieren. Hinzu kommt die Aufmerksamkeit, die generiert wird, wenn Medien darüber berichten.

Länder wie El Salvador oder die Zentralafrikanische Republik erlauben Bit­coin als offizielles Zahlungsmittel. Ist das ein erster Schritt zum Aller­­welts­zahlungsmittel?
Das denke ich nicht. Die Bedürfnisse und Probleme solcher Länder sind sehr spe­zifisch und eher strukturell. Manche kämpfen mit hohen Inflationsraten, andere mit hohen Transaktionsgebühren für 
Geldtransfers von Verwandten im Ausland. Das lässt sich kaum verallgemeinern.

Auch die Europäische Zentralbank ­arbeitet an einem digitalen Euro.
Aber es ist noch unklar, wie dieser technisch und politisch ausgestaltet sein wird. Was wir wissen: Die Technologie wird mittlerweile auf vielen Ebenen verhandelt, in privaten, unternehmerischen und staatlichen Kontexten. Es ist also kein blosser Hype. Damit sich digitale Währungen, sei das jetzt Bitcoin oder eine staatliche, als Zahlungsmittel etablieren, braucht es aber mehr – insbesondere auch Regulierung für Sicherheit und Stabilität.

Das wäre aber kaum im Sinne der Verfechterinnen und Verfechter von Bitcoin.
Eher nicht. Die zentralen Narrative der Krypto-Community betonen, dass sie ohne staatliche Regulation oder Banken aus­kämen. Es geht um Vertrauen in Technologie statt in Institutionen oder Menschen. 
Dort schwingen immer auch Fragen der Identität mit.
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