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16.06.2021 von Darija Knezevic

Das Dorf, das am Seil hängt

Kreditporträt: Das fast autofreie Dorf Braggio zählt rund 50 Einwohne­rinnen und Einwohner. Darunter auch Familie Berta, die hier vor Ort einen Landwirtschafts- und Agrotourismusbetrieb in zweiter Generation bewirtschaftet.


Beitrag der ABS
Artikel in Thema autofrei
Agnese, Alina mit Hund Pira, Mia und Daniela Berta (vorne, v. l.); Luciano, Cleto und Aurelia Berta (hinten v. l.). Alle Fotos: zvg
Das kleine Dorf Braggio im Kanton Graubünden ist wegen seiner Lage auf einer Terrasse hoch über dem Talgrund des Calancatals fast autofrei. Anders als die bekannteren autofreien Orte wie Zermatt oder Wengen, profitiert Braggio dabei wirtschaftlich aber nicht vom Skitourismus. Gäste erreichen Braggio nur über zwei Wege – mit der selbst zu bedienenden Luftseilbahn oder zu Fuss. Dort angekommen, finden sie vor allem: Ruhe, Natur und den kleinen Agrotourismusbetrieb der Familie Berta. Über viele Umwege fand Agnese Berta in den 1980er-Jahren aus der Deutschschweiz nach Braggio. Die damals 29-Jährige wollte sich die Chance, in Braggio ihren eigenen kleinen Betrieb mit 20 Ziegen aufzuziehen, nicht entgehen lassen. Der kleine Landwirtschaftsbetrieb wuchs, Agnese lernte ihren Ehemann Luciano kennen, und sie gründeten in Braggio eine Familie.
Einige Jahre später schuf sich die Familie ein zweites wirtschaftliches Standbein und baute den Agrotourismus in Braggio auf. Agrotourismus bedeutet, Ferien in einer ländlichen Umgebung zu verbringen und dabei den landwirtschaftlichen Betrieb nah mitzuerleben. Bereits 2010 wurde die Familie Berta Kundin der Alternativen Bank Schweiz, als Agnese eine passende Finanzierung für ihr Mehrzweckgebäude suchte. Dieses dient als Kurs- und Verpflegungslokal für Seminare von Firmen, Yogaklassen und anderen Gruppen. Heute ist der Familienbetrieb bereits in die Hände der nächsten Generation übergegangen. 

Die junge Generation schenkt Braggio Hoffnung

Im Jahr 2017 entschied sich Aurelia, die heute 34-jährige Tochter von Agnese, den Landwirtschaftsbetrieb inklu­sive Agrotourismus von ihren Eltern zu übernehmen. Die junge Frau schaut gern auf ihre Kindheit in Braggio zurück: «Ich empfand das Aufwachsen im fast autofreien Dorf nie als Nachteil. Der Schulweg mit Seilbahn und Schulbus war für uns einfach ganz normaler Alltag», erinnert sich Aurelia. In Braggio fehlen heute die Jungen: Viele sind weggezogen, und es sind mehrheitlich Menschen im Pensionsalter anzutreffen. «Es fehlt die mittlere, arbeits­fähige Generation», bekräftigt Aurelia. Trotzdem gibt es Hoffnung: Aurelia ist Mutter von zwei kleinen Töchtern, vor einigen Jahren zog eine Familie mit zwei Kindern nach Braggio, und letztes Jahr wurde im Dorf ein Kind geboren. Diese neue Generation bedeutet Hoffnung und Zukunft für Braggio.

Ihren Erfolg misst Familie Berta nicht primär finanziell, sondern an ­zufriedenen Gästen. Deshalb spannt die Familie auch gern mit der ABS ­zu­sammen – einer Bank, die nicht auf Gewinnmaximierung aus ist.


Trend zum sanften Tourismus ist spürbar

Der Betrieb von Familie Berta hat im Pandemie-Jahr glücklicherweise nur wenig gelitten: Zwar war der Restaurantbetrieb in den Wintermonaten komplett ge­schlossen, doch die Ferienhäuser waren teilweise bis in den Spätherbst 2020 ausgebucht. Auch die Sommer­saison 2021 startete früher als gewohnt. Für Gäste sei schon der Anreiseweg mit der selbst zu bedienenden Seilbahn aufregend und einzigartig, so Agnese. Sie schätzen auch die persönliche Bewirtung und die Entschleunigung. Der Trend zum sanften Tourismus in der Schweiz sei spürbar, doch der Agrotourismus ist nur im Einklang mit der Landwirtschaft möglich. Herausfordernd für die Familie Berta sind die Sommermonate, wenn der Tourismus und die Landwirtschaft gleichzeitig sehr zeit- und arbeits­intensiv sind. Zwischen den beiden Tätig­keitsbereichen sieht Aurelia viele Parallelen: «Weder in der Landwirtschaft noch im Tourismus kennen wir einen klaren Zeitplan – man muss flexibel bleiben und jederzeit  für die Arbeit bereit sein.» Während der Sommermonate ist die Forst- und Landwirtschaftsstrasse nutzbar, allerdings ausschliesslich für den landwirtschaftlichen Betrieb. Doch ab dem ersten Schnee wird die Strasse wegen Lawinengefahr generell gesperrt. 

Zwischen Käse, Trockenfleisch und saisonalem Gemüse

Trotz des verhältnismässig kleinen Landwirtschaftsbetriebs bietet die Familie Berta ein breites Sortiment an selbst hergestellten Produkten an. Neben Lebensmitteln wie Käse, Trockenfleisch, saisonalem Gemüse oder Konfitüren findet man auch geschnitztes oder gestricktes Handwerk. Den Gästen wird serviert, was gerade frisch geerntet oder in der Vorratskammer gelagert wurde. Die Arbeit in der Landwirtschaft und im Agrotourismus ist intensiv, doch ihren Erfolg misst Familie Berta nicht primär finanziell, sondern an zufriedenen Gästen. Deshalb spannt die Familie auch gern mit der ABS zu­sammen – einer Bank, die nicht auf Gewinnmaximierung aus ist.
Weitere Infos: agriturismoraisc.ch

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