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17.03.2021 von Esther Banz

«Kinder haben das Bedürfnis, Gutes zu tun»

Geld ist ein vielseitiges Werkzeug: Man kann damit sparen, konsumieren oder andern helfen. Schon im Kindes­alter werden Grund­lagen dafür ge­schaffen, ob ein Mensch geizig oder gross­zügig wird, sagt der Hirn­forscher und Autor Gerald Hüther.

Artikel in Thema Kind und Geld
Illustration: Claudine Etter
moneta: Gerald Hüther, in Ihrem Buch «Was schenken wir unseren Kindern?» zeigen Sie Eltern auf, welche Geschenke Kinder wirklich brauchen – Geldgeschenke, Spielzeuge und andere Produkte gehörten nicht dazu. Warum?
Gerald Hüther: Kinder wollen sich als selbstwirksame ­Subjekte erfahren, schon von klein auf. Die grössten Geschenke, die wir ihnen deshalb geben können, sind Verbundenheit, Geborgenheit, Vertrauen und Autonomie, sodass sie von ihrem sicheren Hafen aus – dem Zuhause – die Welt erkunden können. Alle Kinder wollen lernen. Ihnen ermöglichen, diese Lernfreude zu bewahren, ist das grösste Geschenk, das wir ihnen machen können, für ­ihren ganzen weiteren Lebensweg.

Konsequent auf materielle Geschenke zu verzichten, ist aber extrem schwierig, erst recht ab dem Kindergartenalter, wo Kinder stark von Gleichaltrigen beeinflusst werden.
Richtig. Keine Familie ist allein auf dieser Welt. Das Kind hat Freunde, die ein Taschengeld und Dinge geschenkt ­erhalten, die das eigene Kind ebenfalls haben will. Spätestens dann, wenn es sich aus der Peer-Gemeinschaft aus­geschlossen fühlt, kapitulieren Eltern.

Verständlich. Gibt es keine Strategien dagegen?
Das Kind müsste im Kindergarten und in der Schule Freunde haben, deren Eltern ähnliche Ansichten und Werte ­vertreten. In der Gruppe sind Kinder besser vor Ausgrenzung geschützt. Man müsste also im Quartier schon vor Beginn der Schulzeit solche Familien finden und ein paar gemeinsame Nachmittage verbringen – die Chance ist gross, dass die Kinder sich befreunden. 

Und die Eltern auch. Trotzdem hat das Kind ja – hoffentlich – seinen eigenen Willen. Es befreundet sich womöglich mit ganz anderen Kindern und entwickelt eine andere Einstellung als die Eltern zu Geld und Konsum.
Ja, und ich rate dringend davon ab, das Kind zu sich «­rüberziehen» zu wollen, denn das würde sein Bedürfnis verletzen, mit den andern verbunden zu sein. Die ­Eltern können nur versuchen, ein anderes Vorbild zu sein. Einstein brachte es sehr gut auf den Punkt mit den Worten: «Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild zu sein, wenn es nicht anders geht, ein ­ab­schreckendes.» Kinder erkennen, was ein ungünstiges Vorbild ist und nehmen Abstand, gehen einen eigenen Weg. Das schaffen aber nicht alle. Schöner wäre, ein positives Vorbild zu sein. 

Im Bauch eines bunten Sparschweins erhält Geld schon früh Zutritt ins Kinderzimmer. Wie wirkt es auf Kinder?
Das kommt auf die Eltern an. Es ist ohnehin so: Kinder ­interessieren sich nur für Geld, solange es Erwachsene gibt, die dem Geld eine grosse Bedeutung beimessen. Die Erwachsenen pflanzen dem Kind diese Einstellung ein.

Indem zu Hause über Geld gesprochen wird?
Nicht nur. Es passiert auch unbewusst, über Taschengeld und Geschenke.

Es gibt auch ganz spezielle Sparschweine mit mehreren Kammern, sodass das Kind sich zwischen verschiedenen Sparzielen entscheiden kann. In einer Kammer kann es ausserdem Geld für einen guten Zweck sammeln. Was halten Sie davon?
Das finde ich sehr gut. Das Kind lernt so, dass es mit Geld nicht nur Dinge für sich selber kaufen kann. Ein Kind, das ich kenne, ermöglicht einem gleichaltrigen Waisenkind in Nepal mit wenigen Euro pro Woche, dass es zur Schule gehen kann. Die beiden schreiben sich sogar, auf Englisch. So entsteht eine Art Freundschaft. Wunderbar daran ist auch, dass ein Kind so die Möglichkeit erhält, zu begreifen, dass es mit Geld auch wirklich Gutes an­stellen kann. Was es unterstützt, muss allerdings konkret sein.
Der 1951 geborene Neurobiologe Gerald Hüther ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Publikationen, unter anderem zu kindlicher Entwicklung. 2019 publizierte er zusammen mit André
Einfach ein Schlitz «für wohltätige Zwecke» wäre zu wenig konkret?
Ja. Der wohltätige Zweck muss fürs Kind greifbar werden. Vielleicht gibt es auch im Wohnort des Kindes eine In­stitution für Kinder, die es unterstützen kann. Am besten ist, wenn das Kind sein Geld für etwas einsetzt, das seine tiefsten inneren Bedürfnisse befriedigt. 

Kinder sind ja von ganz klein auf fürsorglich und grosszügig.
Damit kommen alle auf die Welt. Sie erleben, dass sie unterstützt werden. Und daraus entwickeln sie das eigene Bedürfnis, andere zu unterstützen und zu beschenken, Gutes zu tun. Sie betrachten sich als Geschenk für die Welt und wollen Teil dieser Gemeinschaft sein. 

Warum bleibt das nicht so? Warum sind Erwachsene so viel weniger grosszügig und unterstützend als Kinder?
Weil manche Eltern ihrem Kind zu verstehen geben, dass es so, wie es ist, nicht richtig ist. Wenn Kinder bei den primären Bezugspersonen nicht die Wertschätzung finden, die sie suchen, unterdrücken sie in sich selbst das Be­dürfnis, anderen zu helfen. Das kann so intensiv sein, dass im Hirn eine hemmende Verschaltung über dieses Bedürfnis wächst. Und dann ist es weg. 

Der Mensch kann also mangels Wertschätzung geizig werden? 
In der Quintessenz, ja. Geiz ist eine Haltung, die entsteht, weil man meist schon als kleines Kind nicht bekam, was man gebraucht hätte. Kinder erleben es als schmerzvoll, wenn sie etwas verschenken wollen, aber die an­deren sich nicht darüber freuen. Oder wenn ihnen verboten wird, etwas von dem abzugeben, was sie haben. Diese Verletzungen führen bei manchen dazu, dass sie nichts mehr verschenken wollen. Sie bleiben dann ein Leben lang Bedürftige. 

Geiz ist also Ausdruck eines Mankos respektive einer Sehnsucht? 
Ja, «bedürftig» wird jemand, der ein lebendiges Bedürfnis nicht stillen konnte. Mit Geld hat das gar nicht so viel zu tun – Geld ist ja nur ein neutrales Mittel. Das zeigt sich in dem speziellen Sparschwein gut: Man kann es benutzen, um andere zu beschenken oder um sich selber zu belohnen – etwa für das, was man aushält. Im einen Fall ist man Bedürftiger, im andern Schenkender. Der Bedürftige – da sind wir bei Erich Fromm – ist einer, der immer ­haben will, der nicht sein kann. Und das Kind, das mit seinem gesparten Geld ein anderes Kind unterstützt, damit es zur Schule gehen kann: Es ist ein Schenkender, jemand, der anderen gern etwas abgibt von seinem «Reichtum». 

Es geht dem schenkenden Mädchen gut, nehme ich an.
Genau, schenken bedeutet Stärke. Je mehr ein Kind in ­seiner eigenen Kraft ist, desto eher ist es in der Lage, zu schenken. Wenn hingegen die Grundbedürfnisse nicht ­gestillt sind, bleibt eine Bedürftigkeit. Und ein Bedürftiger ist einer, dem etwas fehlt. 

Mir scheint, die meisten von uns seien Bedürftige. 
Das sehe ich auch so. In sehr machtvollen Positionen finden sich besonders viele Bedürftige, die sich hochgekämpft haben. Einer, der etwas zu verschenken hat, muss nicht Karriere machen. Der muss auch kein Geld anhäufen. 

Zurück zu den Kindern und zum speziellen Sparschwein. Als ich es mit meiner fünfjährigen Tochter einweihte, durfte sie selbst entscheiden, wie sie ihr Erspartes auf die vier Kammern verteilen wollte. Für sie war klar, dass die Hunderternote, die sie kürzlich geschenkt bekommen hatte, ins Spendenfach kam, für einen Tier-Gnadenhof. Ich war drauf und dran, sie überzeugen zu wollen, es in die Kammer reinzustecken, wo sie für Reitferien spart.
Gut, haben Sie es nicht getan! Das Kind soll unbedingt selber entscheiden dürfen. Das ist Autonomiestärkung.
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