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17.03.2021 von Muriel Raemy

«Man muss über Geld sprechen!»

Wie lernen Kinder und Jugendliche einen verantwortungsvollen Umgang mit Geld? Und wie lässt sich vermeiden, dass sie später in die Schuldenfalle tappen? Wichtig ist, was Eltern ihnen vorleben. Aber nicht nur.

Artikel in Thema Kind und Geld
Illustration: Claudine Etter
Meine Söhne, 14 und 12 Jahre alt, erhalten kein Taschengeld, aber ich bezahle sie für bestimmte Aufgaben in Haushalt und Garten. Ihre jüngere Schwester ist immer wieder begeistert von der Grosszügigkeit der Bäckereiverkäuferin, die mir auf meinen Geldschein ganz viele Münzen zurückgibt. Ich möchte ihr diese Freude nicht nehmen. Sollte ich das? Ist es zudem sinnvoll, meinen Söhnen beizubringen, dass jede Arbeit einen Lohn verdient? Gibt es hier eine richtige Vorgehensweise? 
«Es gibt kein Richtig oder Falsch, aber eine Regel, die gegen ein Tabu verstösst: Man muss über Geld sprechen! Es ist wichtig, dass Eltern offen und konkret darüber reden. Allerdings habe ich festgestellt, dass dies in Familien eher selten gemacht wird.» Caroline Henchoz, Soziologin, Lehrbeauftragte und Forschungsrätin an der Universität Freiburg sowie Assistenzprofessorin an der Hochschule für Soziale Arbeit der HES-SO Valais-Wallis, interessiert sich seit über zwanzig Jahren für den Umgang mit Geld in Familien. In ihrem Forschungsgebiet ist sie fast allein, denn der Einfluss der Eltern auf die Finanzkompetenzen der Kinder wurde bisher noch kaum systematisch erforscht.
Henchoz hat herausgefunden, dass Finanzkompetenzen nicht allein durch eine explizite Finanzerziehung erworben werden: Kinder und Jugendliche lernen viel durch Imitieren und Ausprobieren, meist geschieht dies über ein eigenes Sparkonto oder Taschengeld. Laut Henchoz handhabt jede Familie diese Themen auf ihre eigene Art, entsprechend ihrer «Philosophie»: Entweder erhält das Kind ein Taschengeld in bestimmter -Höhe oder dieses ist an die Erfüllung bestimmter Aufgaben geknüpft. Oder Eltern und Kind handeln gemeinsam aus, welche Käufe notwendig sind. Auf diese Weise vermitteln Eltern den Kindern zwar ihre Werte, aber nicht unbedingt ihr Know-how im Umgang mit Geld oder in der Budgetplanung. Für die Soziologin ist klar, dass die Schule hier einen Beitrag leisten muss.

Möglichst nahe an der Lebenswelt der Jugendlichen

In den letzten Jahren wurden zahlreiche Initiativen zur Förderung von Finanzkompetenzen lanciert. Auf internationaler Ebene nehmen die Weltbank und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Pionierrolle ein, beispielsweise mit der Pisa-Erhebung 2012, in der unter anderem die finanzielle Bildung der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler in Europa ermittelt wurde. Ein Fazit verschiedener Studien ist, dass bereits sehr junge Kinder ein gewisses Bewusstsein für Geld haben und sie durch sukzessive Annährung an finanzielle Fragen ein umfassenderes und nuancierteres Verständnis dafür entwickeln. Doch erst ab Ende der Sekundarstufe I, also mit rund 15 Jahren, und vor allem in der Sekundarstufe II (Lehre oder Mittelschule) können sich Jugendliche komplexeres Finanzwissen aneignen.
Bei der obligatorischen Schulbildung lässt der Föderalismus den Kantonen einigen Spielraum. Der Lehrplan 21 in der Deutschschweiz sieht wöchentlichen Unterricht in «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» vor, während der Lehrplan in der Westschweiz nur das Fach «Wirtschaft» umfasst. Géraldine Landry unterrichtet das Fach auf der Sekundarstufe I in La Sarraz VD; ihre Schülerinnen und Schüler sind zwischen 12 und 15 Jahre alt. Sie freut sich über die Wende, die das Fach erfahren hat: Während der Unterricht früher auf Unternehmen und Betriebswirtschaft fokussierte, steht nun die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler und die Vermittlung von alltäglichen Finanzkompetenzen im Vordergrund. «Zuerst gehen wir in die Migros einkaufen, mit der Einkaufsliste für eine Mahlzeit. Wir lesen die Etiketten, berechnen den Kilopreis, vergleichen die verschiedenen Produkte und stellen den Einkauf dem Essensbudget der Familie gegenüber.» Um Themen wie Geldschöpfung, BIP, Kryptowährungen oder Gemeingut zu vermitteln – oft mit einem Aktualitätsbezug –, stellt Géraldine Landry ihr eigenes Unterrichtsmaterial zusammen. Und sie mag Lernspiele, wie zum Beispiel das «Budgetspiel» von Pro Juventute (mehr dazu weiter unten).

Der Verschuldung vorbeugen

Was die Förderung der Finanzkompetenzen von Lernenden oder Studierenden anbelangt, gibt es keine echte Koordination auf nationaler Ebene. Sie hängt folglich vom guten Willen der Schulleitungen und von den Möglichkeiten der Lehrpersonen ab. Im Bereich Schuldenberatung sind die Kantone aktiver. Die Mehrheit der Jungen geht zwar verantwortungsvoll mit Geld um, doch es gibt auch jene, die Schulden anhäufen. Daher besteht ein wachsendes Interesse an Prävention. Die meisten Kantone arbeiten mit spezialisierten Organisationen zusammen, etwa der Caritas oder den kirchlichen Sozialdiensten. «Neben Ereignissen wie Stellenverlust, Krankheit oder Scheidung sind es häufig fehlende administrative und finanzielle Kompetenzen, die Schulden verursachen», erklärt Isabelle Baume, Sozialarbeiterin und stellvertretende Direktorin des kirchlichen Sozialdienstes der reformierten Kirche (CSP) des Kantons Neuenburg. Mit zwei von den Westschweizer CSP entwickelten Workshops («Les ficelles du budget» und «Cash-Cash Party») besucht sie Klassen an nachobligatorischen Schulen, um die Jugendlichen für Haushaltsausgaben und den Nutzen eines Haushaltsbudgets zu sensibilisieren. «Unabhängig vom sozialen oder wirtschaftlichen Hintergrund der Familien weichen die Kenntnisse, die den Jugendlichen vermittelt wurden, stark voneinander ab. Einige haben keine Vorstellung von ihren Ausgaben, andere können bereits ein Budget erstellen. Auch wenn man das nicht verallgemeinern kann, stelle ich fest, dass eine grosse Unkenntnis über die Lebenskosten herrscht», erklärt Baume.

Auch die Kleinen denken gern über Geld nach

Die Stiftung Pro Juventute setzt sich seit über hundert Jahren für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Familien ein und hat schon früh Angebote zur Vermittlung von Finanzkompetenzen entwickelt. Mit dem Bilderbuch «Geld zu verkaufen!» richtet sich Pro Juventute an Kinder zwischen sechs und acht Jahren: Anhand der Geschichte der beiden Kinder Alma und Milan, die Material für ihr geplantes Baumhaus brauchen, regt das Buch an, über Themen wie Schenken, Tauschen, Teilen, Arbeiten, Kaufen, Verkaufen, Zeithaben und Sparen nachzudenken. Célia Brocard, Projektleiterin bei Pro Juventute, erklärt, dass viele Aspekte, die mit Geld verbunden sind, abstrakt und für Kinder deshalb schwer zu verstehen seien. «Doch die Kleinen haben einen aus-geprägten Sinn für Logik. Wenn man früh auf ihre Fragen eingeht, regt man sie dazu an, über Geldthemen nachzudenken, beispielsweise über Kaufreflexe oder über die Tatsache, dass Mama und Papa einen Lohn erhalten.» Die Stiftung entwickelt auch pädagogisches Material für Schulkinder und Jugendliche, wie das bereits erwähnte «Budgetspiel». Dabei schlüpfen die Teilnehmenden anhand von Geschichtenkarten in die Rollen von Lernenden oder Studierenden, die ihre Finanzen selbst verwalten müssen.

Mit zwölf Jahren ein eigenes Budget verwalten

Im Zusammenhang mit der Schuldenprävention wird oft der sogenannte Jugendlohn erwähnt. Dessen Grundsatz ist einfach: Auf der Basis eines Vertrags mit den Eltern erhalten Jugendliche – idealerweise ab zwölf Jahren – einen fixen monatlichen Betrag, dessen Höhe von den Möglichkeiten der Familie abhängt. Damit müssen die Jugendlichen einen Teil ihrer Lebenskosten selbstverantwortlich bestreiten. Die Idee dahinter ist, dass die Jugendlichen die Konsequenzen ihrer finanziellen Entscheidungen selbst tragen – auch wenn sie Fehler machen und ihr Konto bereits vor Ende Monat leer ist. Pro Juventute organisiert Veranstaltungen für Eltern, um sie mit dem Jugendlohn vertraut zu machen und bei der Umsetzung zu begleiten. Auch Themen wie Selbstvertrauen, Umgang mit Gefühlen und Gruppendruck kommen dabei zur Sprache. Die Herausforderungen sind gross zu Zeiten des digitalen Geldes und der Vervielfachung der Zahlungsmittel. Auch die Werte und Normen zu hinterfragen, die in der Familie vermittelt oder von der Peergroup vorgelebt werden, erfordert einiges.

Vom 22. bis 28. März 2021 findet die erste Swiss Money Week statt. Die von mehreren Institutionen lancierte Themenwoche ist den Finanzkompetenzen gewidmet.
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