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19.06.2019 von Barbara Bohr

Lässt sich das Gute messen?

Immer mehr Menschen möchten mit ihrem Geld die nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft fördern. Qualitative und quantitative Methoden können helfen, Kapital dorthin zu lenken, wo es die bestmögliche Wirkung erzielt. Aber die Messbarkeit hat Grenzen.

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Illustration: Claudine Etter

Der Markt für wirkungsorientierte Anlagen boomt. Immer mehr institutionelle Anleger wie Pensionskassen und Versicherungen wollen ihre Gelder nachhaltig investieren und benötigen Standards, um die Angebote miteinander vergleichen zu können. In den letzten Jahren ging es in erster Linie darum, die finanzielle Rendite sozialer und ökologischer Anlagen nachzuweisen. So gehen über 2000 Studien der Frage nach, ob sich wirkungsorientierte Anlagen finanziell für die Investoren lohnen. Nur wenige dagegen beschäftigen sich mit den sozialen und ökologischen Wirkungen, zeigt eine Überblicksstudie von Ökonominnen und Ökonomen der Universitäten Zürich und Hamburg sowie des Massachusetts Institute of Technology in Boston.

«Sustainable Development Goals» als Standard

Vor diesem Hintergrund haben Finanzunternehmen begonnen, ihre Anlagepolitik an den 17 Zielen der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Uno auszurichten. Diese bieten sich als «normatives Gerüst für die Definition der im Rahmen von Impact Investing angestrebten sozialen und/oder ökologischen Wirkungen an». Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, die Impact Investing – wirkungsorientiertes Investieren – in Deutschland untersucht hat.

Die Fonds der nachhaltigen Anlagegesellschaft Responsability etwa messen ihre Wirkung, indem sie sich an den SDGs orientieren. Das Portfolio konzentriert sich auf Unternehmen aus den drei Sektoren Finanzen, erneuerbare Energien und nachhaltige Landwirtschaft. Der Impact eines 2,7-MW-Wasserkraftwerks in Ruaza, Ruanda, wird anhand folgender Kennzahlen bewertet: Es unterstützt unter anderem die nachhaltigen Entwicklungsziele 7 («nachhaltige und moderne Energien für alle») und 13 («Sofortmassnahmen gegen den Klimawandel»), weil durch das Kraftwerk 14 000 Tonnen jährlicher CO2-Emissionen vermieden werden. 309 temporäre und sechs permanente Arbeitsplätze tragen zum Erreichen des Entwicklungsziels 8 («menschenwürdige Arbeit») bei. Eine positive gesellschaftliche Wirkung erzielt das Projekt vor allem dadurch, dass das Kraftwerk das ruandische Stromnetz in den ländlichen Regionen stabilisiert. Die SDGs helfen also Investmentgesellschaften grundsätzlich, Nachhaltigkeitsziele zu messen und die Erfolge gut zu kommunizieren.

Die Grenzen der Messbarkeit

Die Ausrichtung an Indikatoren birgt Risiken. Die Uno etwa stellt 800 Kennzahlen zur Verfügung. Daher wählen Unternehmen gerne die Indikatoren aus, die für ihr Geschäft relevant sind. Das scheint vernünftig, um einen klaren Fokus zu setzen. Rosinenpicken kann jedoch zur Verwässerung führen (Stichwort: «SDG-Washing»).

Gleichzeitig bestärkt die grosse Auswahl den Trend, gerade das zu messen, was leicht zu messen ist. Dabei können Wirkungen übersehen werden, die schwierig zu messen sind, aber eine hohe Relevanz haben. Ein Beispiel: Ein Sozialunternehmen verkauft Solarpanels im ländlichen Indien, um dort die Schadstoffbelastung durch Kerosinlampen in den Häusern zu senken. Vor allem erhofft sie sich von ihrem Engagement positive gesundheitliche Effekte bei der Bevölkerung. Bisher wurde die Firma bei Kreditanfragen daran gemessen, wie viele Solarpanels sie verkauft. Umsatzzahlen zu ermitteln, ist leicht. Doch wie gross ist die gesundheitliche Wirkung? Das war lange Zeit schwierig zu messen. Eine aufwendige Datenanalyse zeigt: Bei Kindern, die in Haushalten mit diesen Solarpanels leben, sind 20 Prozent weniger Atemwegserkrankungen aufgetreten. Das Unternehmen fühlt sich in seiner Strategie bestätigt. Die Messungen kosten jedoch viel Zeit und Geld, die für Investitionen in die Verbesserung der Panels fehlen. Inwieweit ist es also ethisch gerechtfertigt, dass Investoren derart detaillierte Messungen und ihre regelmässige Überprüfung einfordern?

Erfahrung so wichtig wie Zahlen

Viele Expertinnen und Experten aus der Praxis sprechen sich deshalb gegen eine tief greifende Wirkungsmessung aus. Das ist auch der Tenor der bereits erwähnten Studie der Universität St. Gallen. Die interviewten Expertinnen und Experten gehen darin einig, dass man oft aufgrund persönlicher Erfahrungen mit den Unternehmen bereits wisse, dass sie eine positive soziale oder ökologische Wirkung erzielen. Offenbar wird also in der Praxis der Wirksamkeitsmessung oft ein pragmatischer Ansatz verfolgt, bei dem Intuition und Erfahrung eine grosse Rolle spielen. Weniger messen kann also auch im Impact Investing durchaus mehr sein. Aus Sicht der Kundinnen und Kunden ist dennoch ein gewisses standardisiertes Mass an Transparenz wünschenswert. Die Anzahl der Kennzahlen ist dabei weniger entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, dass diese eine Ausgangsbasis bilden für die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir künftig leben?

Zukunftsbilder als Wertegerüst

Exemplarisch für diesen Ansatz steht ein aktuelles Projekt der deutschen GLS-Bank. Unter dem Leitspruch «Die Angst vor einer Zukunft, die wir fürchten, können wir nur überwinden durch Bilder von einer Zukunft, die wir wollen» hat die Bank für jede Branche, in der sie aktiv ist, zwei bis fünf sogenannte Zukunftsbilder entwickelt. Beispielsweise im Bereich «erneuerbare Energien»: Hier hat die Bank ein Wertegerüst definiert, das aus den Elementen «weiterer Ausbau der erneuerbaren Energien», «bürgernah», «Akteursvielfalt», «dezentral» sowie «effizient und innovativ» besteht. Ergänzt wird dieses Gerüst mit quantitativen und qualitativen Indikatoren, sodass es als Steuerungsinstrument genutzt werden kann. Dadurch entsteht Transparenz, die den Beratungsprozess und die Qualität des Portfolios stärkt. Gleichzeitig dienen diese Zukunftsbilder dazu, Ziel- und Wertekonflikte offenzulegen und mit Kundschaft und Öffentlichkeit zu diskutieren, was ökologisch oder sozial wünschenswert ist. Die ermittelten Wirksamkeitsfaktoren stehen damit auch für die gesellschaftliche Relevanz der Bank.

Kommentar der ABS

Wirken statt messen

Die soziale und ökologische Wirkung der Geschäftstätigkeit einer Bank zu messen, ist komplex und vor allem auch aufwendig. Bei der Alternativen Bank Schweiz weisen wir seit 2017 den CO2-Fussabdruck des gesamten Anlageberatungsgeschäftes aus – als erste Bank in der Schweiz überhaupt. Zudem zeigen wir die sozialen und ökologischen Auswirkungen der sogenannten Impact-Anlagefonds auf, die wir in der Anlageberatung einsetzen. Beispielsweise wie viele Haushalte mit sauberer Windenergie dank dem Geld der Fonds versorgt werden. Bei gewissen Geschäftstätigkeiten machen wir also Angaben über deren Folgen auf Umwelt und Gesellschaft, bei anderen hingegen nicht. Warum?

Weil Wirkungsmessungen so aufwendig sind, müssen wir genau abwägen, wie viel Zeit und Ressourcen wir dafür investieren wollen. Unser Ziel ist, einen Beitrag zur Lösung der vordringlichsten gesellschaftlichen Probleme zu leisten. Wichtiger als eine flächendeckende Wirkungsmessung ist uns deshalb, zunächst sorgfältig zu ermitteln, welches diese Probleme sind. In einem zweiten Schritt gilt es festzulegen, in welche Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche wir Geld vermitteln müssen, um die Lösung der Probleme voranzubringen. Und schliesslich gilt es, das Geld dorthin zu vermitteln. Wir verfolgen also den Grundsatz: «Lieber viel wirken statt mehr messen.»

Die Bereiche, die wir fördern wollen, sind in den Grundlagen unserer Anlage- und Kreditpolitik festgelegt. Dabei stützen wir uns auf Studien und Informationen von NGOs, der Uno und wertverwandter Banken und Unternehmen. Diese Expertisezusammen mit der eigenen Erfahrung genügen unseres Erachtens, um jene Bereiche zu ermitteln, die mit grosser Wahrscheinlichkeit eine positive Wirkung auf Gesellschaft und Umwelt haben. Einmal im Jahr bestimmen wir, wie viele unserer Kredite und Anlagen in die förderwürdigen Bereiche fliessen. Diese Resultate weisen wir in unserem Nachhaltigkeitsbericht aus, und zwar mithilfe der Sustainable Banking Scorecard der Global Alliance for Banking on Values. Sie sind ein Steuerungsinstrument für unseren Geschäftsalltag und zeigen unserer Kundschaft auf, dass wir tun, was wir sagen.

Text: Anna-Valentina Cenariu,
Leiterin der Fachstelle Nachhaltigkeit bei der Alternativen Bank Schweiz

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