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13.09.2023 von Roland Fischer

« Wir nennen es ‹ Ästhetik der Freiheit › »

Das Designbüro Mifactori aus ­Berlin entwickelt Produkte, ­Methoden, Kampagnen und ­Bildung für eine nachhaltige ­Kreislaufwirtschaft. Warum wir einen ganz neuen Design­ansatz brauchen und was das alles mit Spielzeug zu tun hat, erläutert der Initiator Lars Zimmermann.

Artikel in Thema Kreislaufwirtschaft

moneta: Lars Zimmermann, Sie haben ein Designstudio, das sich der Kreislaufwirtschaft verschrieben hat. Wie muss man sich die Produkte vorstellen, die Sie entwickeln? 
Lars Zimmermann Gerade kommen viele verschiedene Dinge raus, ein kleines Regal, eine Bank, ein Stuhl. Sie basieren alle auf wiederverwendbaren, simplen Bauteilen.


Sie bezeichnen sich als «Designer, Artist, Activist». Machen Sie bei Mifactori also eher Kunst?

Nein, wir wollen schon für einen Markt entwickeln. Aber es stimmt, unser ­Designbüro ist aktivistisch, wir fragen uns: ­Warum sehen wir so wenig nachhaltiges Design? Wir forschen deshalb an wirklich neuem Design. Wenn sich herausstellt, dass sich so etwas nicht verkaufen lässt – dann machen wir es trotzdem.


Und wie finanziert sich das, letztlich?

Wir haben da eine ganz gute Lösung gefunden: Wir machen viel Bildung in Sachen Kreislaufwirtschaft. Wir probieren zum Beispiel oft Dinge zusammen mit Kindern aus. Unsere allerersten Fehler haben wir wohl alle beim Spielen gemacht.


Gutes Stichwort: Auf Ihrer Website steht, die Ästhetik Ihrer Lösungen sei stark von Spielzeugen inspiriert. «Dinge sind bunt, einfach zu verstehen und machen sehr viel Spass.»

Genau. Es geht bei Spielzeugen eben nicht nur um eine besondere Ästhetik, es geht auch darum, dass es in der Nutzung keine Hürden, keine Ängste gibt. Dieses Spiele­rische und Inklusive ist für uns zentral.


Was ja nicht unbedingt für alles Spielzeug gilt.

Das stimmt, wir haben da vor allem Selbermach-Spielzeug im Sinn. Die Lego-Metapher ist eine meiner liebsten beim Erläutern unseres Prinzips. Man muss insofern eine «Auseinanderbaubarkeit» schon in die Dinge hineindesignen. So kommt die Nutzung in einen Fluss: Kinder bauen einen Kran ja nicht für die Ewigkeit, sie nehmen ihn auch wieder auseinander. Nachhaltiges Design soll mich nicht nur auf einer ästhetischen Ebene ansprechen, es soll mir «Hey, du kannst was mit mir machen!» entgegenrufen. Wir nennen es «Ästhetik der Freiheit».


Welche anderen wichtigen Prinzipien gibt es, wenn man für Kreisläufe designt?

Nachhaltiges Design hat viele Dimensionen: wo das Material herkommt, wie viel Energie bei der Produktion verbraucht wurde, wie die Dinge transportiert wurden usw. Wir setzen bei der Idee des «Re­use» an, und das bedeutet zunächst ­einmal, haltbare Sachen herzustellen.


Das klingt nun ziemlich konservativ: die guten alten Dinge.

Ja, aber dazu kommt die digitale Ebene: Für jedes Produkt kann ich in einer Datenbank die ganzen Teile sehen, die darin ­verbaut sind. Ich kann sie selber nach­produzieren lassen – womöglich kann ich ­sie sogar selber machen, wenn etwas ­kaputtgeht – und ich kann nachschauen, wie ich mein Ding auf die nächste Stufe heben kann: Was bräuchte ich, um aus meinem simplen Regal ein grösseres zu machen – oder vielleicht einen Stuhl oder ein Bett?


Bei Möbeln kann man sich das gut vorstellen, aber geht das auch bei komple­xeren Produkten? Wird es dereinst einen zirkulären Computer geben?

Ich habe erst kürzlich von Experimenten mit kleinsten Nanobots gelesen, die in der Lage sein sollen, alle möglichen Strukturen selber aufzubauen. Ich würde niemals behaupten, dass es irgendwann möglich sein wird, alles so zu designen, aber Fakt ist: Derzeit zeigt in der Produktgestaltung viel zu wenig Richtung Zirkularität. Wir brauchen Impulse in diese Richtung.


Überzeugt. Wo bekomme ich denn die Mifactori-Produkte?

Tja, tut mir leid, es gibt das alles noch gar nicht zu kaufen. Wir sind in der Entwicklungsphase und bauen gerade die Website trikka.house auf, wo all dieses Wissen ­ab­rufbar sein wird.


Ausgehend von den Bauplänen könnte ich mir das auch einfach selber bauen, da hätten Sie nichts dagegen, oder?

Auf keinen Fall! Oder man bringt den Bauplan dem Tischler im Quartier und lässt ihn die nötigen Teile machen. Es ist uns wichtig, die Bauteile super einfach zu machen, sodass man sie mit ganz simplen Werkzeugen herstellen kann, egal wo auf der Welt. Echtes Kreislaufdesign muss auch dezentral sein.


Foto:zvg
Lars Zimmermann ist Designer, Künstler, Aktivist und Vermittler in ­Berlin. Er hat das Designstudio ­Mifactori für offenes Kreislaufdesign, Bildung und kreativen Aktivismus ­gegründet. Er schreibt, unterrichtet an Univer­sitäten, hält Vorträge und baut und erfindet Dinge – allein oder in Gemeinschaften. mifactori.de
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