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13.03.2019 von Muriel Raemy

«Wir sind wütend»

Tausende von Frauen werden am 14. Juni 2019 streiken – unabhängig von Alter, gesellschaft­lichem Status, politischer Einstellung oder sexueller ­Orientierung. Was sie zusam­menbringt? Der Wille, sich gegen Belästigung, Gewalt und Dis­kriminierung zur Wehr zu setzen. Sie fordern gleiche Löhne, anständige Renten und vor allem einen gesellschaftlichen Wandel.

Artikel in Thema Frauen und Geld
Illustration: Claudine Etter
Am 14. Juni 1991 gingen rund 500 000 Frauen auf die Strasse und forderten mehr Gleichstellung. «Die Aktion kam für viele überraschend und hatte konkrete Auswirkungen: das Bundesgesetz über die Gleichstellung von Mann und Frau, den Mutterschaftsurlaub und die Inangriffnahme der ersten AHV-Reform», beginnt Isabel Amian, Sekretärin der Unia Neuenburg und Mitglied des Neuenburger Streikkollektivs. Und dennoch: Auf den Tag genau 28 Jahre später werden Frauen erneut die öffentlichen Plätze einnehmen und ihren Unmut kundtun. Emilie Donzallaz, Mitglied des Frauenstreik-Komitees Freiburg, Teilzeit-Koordinatorin bei der Spitex im Bezirk Glâne, Mutter und Hausfrau, bereitet sich darauf vor: «Unsere Anliegen werden nicht ernst genommen. Wir wollen, dass sie auf die politische Agenda kommen. Der Streik ist für uns ein Mittel, Druck auszuüben.»

Ein Manifest mit 19 Punkten

Hunderte von Frauen aller Generationen beteiligen sich an der Organisation des Frauenstreiks vom 14. Juni – mit einem gemeinsamen Ziel: einen Schritt vorwärtszukommen. Der nationale Anlass wird von kantonalen Streikkollektiven sowie Gruppen auf Gemeinde- und teilweise sogar auf Quartierebene getragen. Frauen mit zum Teil sehr unterschiedlichen politischen Einstellungen haben gemeinsam das Manifest für den diesjährigen Streik herausgegeben. Es umfasst 19 Punkte und thematisiert unter anderem Lohnungleichheit, sexuelle Gewalt, das unfaire Rentensystem oder die Geschlechterstereo­typen, die unser Schulsystem prägen. Verlangt wird beispielsweise, dass Hausarbeit in allen Sozialversicherungen anerkannt wird und die Arbeitszeit für alle reduziert wird, damit familiäre und soziale Verantwortung geteilt werden kann. Kurz und gut, das Manifest fordert einen tief greifenden gesellschaftlichen Wandel. «Ich kämpfe natürlich aus meiner Perspektive als Mutter und Angestellte im Spitex-Pflegedienst», sagt Emilie Donzallaz. «In diesem Bereich arbeiten hauptsächlich Frauen in Teilzeit. Ihre Männer arbeiten Vollzeit, auch wenn einige sich wünschten, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen. Unsere Löhne sind tief, und unsere Renten werden minimal sein. Wir arbeiten gratis für die Familie und die Gesellschaft. Wir sind wütend!»

An der Front

In ihrem Alltag als Gewerkschafterin für das Gastgewerbe kämpft Isabel Amian für Rechte und Arbeitsbedingungen, die eigentlich längst selbstverständlich sein sollten. «Ich habe es oft mit einem patriarchalischen oder gar chauvinistischen Führungsstil zu tun, in dem Frauen als hübsche Handlangerinnen betrachtet werden. Sie werden meist mit undankbaren Aufgaben betraut, und manche dürfen sich erst noch von Kunden oder Arbeitskollegen belästigen lassen. Ganz zu schweigen von der enormen Lohnungleichheit und der Tatsache, dass Frauen nur selten in Führungspositionen gelangen!»
Die Frauen werden am 14. Juni also die Arbeit niederlegen. Bis dahin sind in allen Kantonen zahlreiche An­lässe geplant. Organisiert werden die meisten von den Gewerkschaften, die ihre Mitglieder beim Streik unterstützen und für deren Lohnausfall aufkommen, und von den Streikkollektiven. Die Anlässe sollen sensibilisieren, informieren und möglichst viele Frauen mobilisieren. Auch die Männer sind eingeladen, sich anzuschliessen. Jede Frau kann sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten einbringen. Die einen werden an den Demonstrationen teilnehmen, die in den grossen Städten geplant sind, die anderen organisieren Aktionen in ihrem Quartier oder in ihrem Unternehmen. Beispielsweise verlassen sie um 15.24 Uhr ihren Arbeitsplatz, weil Frauen ab dieser Zeit – gemäss Berechnungen des BFS zur Lohnungleichheit – täglich gratis arbeiten. Wieder andere werden die Hausarbeit bestreiken und als Zeichen dafür – wie schon 1991 – einen Besen in den Farben der Frauenbewegung in ihr Fenster hängen.
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