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14.09.2022 von Roland Fischer

Bombe im Taschenbuchformat

Vor 50 Jahren publizierte der Club of Rome «Die Grenzen des Wachstums». Die eher trockene Abhandlung hat sich seither millionenfach verkauft und etliche Neuauflagen erhalten. Warum eigentlich? Ein Blick auf die erstaunliche Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Buchs.

Artikel in Thema Abschied vom Wachstum

Kann es tatsächlich sein, dass wir es hier mit «einflussreichsten Sachbuch das je geschrieben wurde» zu tun haben, wie es einmal in einer Rückschau eines Umwelthistorikers hiess? Ein dünnes Bändchen, verfasst von einem Team von Technikern und Umweltexpertinnen, voll mit komplexen Diagrammen und Grafiken? «Sex sells», sagt man, aber vielleicht müsste man richtiger sagen: «Doom sells». Denn vor exakt 50 Jahren wurde der Menschheit vom Club of Rome der Untergang prophezeit, nicht in nächster, aber eben auch nicht in allzu ferner Zukunft. Sofern sie denn weitermacht wie bisher auf ihrem Wachstumskurs. Was sie ja getan hat, ziemlich unbeeindruckt von den Modellrechnungen, wie es scheint. Manche halten die Studie für bahnbrechend, andere haben ihr umweltpolitischen Alarmismus vorgeworfen. Die Wirkungsgeschichte von «Die Grenzen des Wachstums» (GdW) ist ebenso spannend wie die eigentliche Analyse des Wachstumssystems als «doomed to fail» – dem Untergang geweiht. Oder vielleicht noch viel spannender.

 

World Model 1

 

Denn was steht eigentlich in diesem Buch? Neben dem detailliert beschriebenen technischen Apparat gar nicht so viel Substantielles, wenn man es recht besieht. Dass ein System aus dem Ruder läuft, wenn man irgendeine Grösse darin (es spielt eigentlich keine Rolle welche) exponentiell wachsen lässt – das ist nicht wirklich überraschend. Auch nicht, dass exponentielles Wachstum uns leicht auf dem falschen Fuss erwischt und dass wir entsprechende Warnungen gern in den Wind schlagen; das passiert uns immer und immer wieder, wir hatten mit der Corona-Pandemie gerade wieder mal sehr konkreten, diesmal epidemiologischen Anschauungsunterricht. Das Neue an GdW war das Konzept der Systemdynamik, eine Denkschule, die komplexe Systeme mit mathematischen Mitteln zu beschreiben versucht und sich dabei vor allem für Rückkoppelungsmechanismen interessiert. Es war ein Lieblingsspielfeld der noch jungen Informatik, da man solche Beschreibungen von Systemen nur mit Computern sinnvoll durchrechnen konnte. Der Guru des Felds, der Amerikaner und Begründer der Systemdynamik Jay Forrester, überzeugte den Club of Rome, ihm die Mittel zur Konstruktion eines «Weltmodells» zu geben, dabei hatte sich die Methode bislang erst im Firmen-Kontext bewiesen. Aber es war die grosse Zeit der futurologischen Prognosen, nun also: das «World Model 1»! Eine Beschreibung komplexer ökonomisch-ökologischer Zusammenhänge via einzelner, notwendigerweise überaus reduzierter Bauklötze, für Landwirtschaft zum Beispiel oder für die Ausbeutung neuer Ressourcen, entwickelt von einem grossen Team am Massachusetts Institute of Technology (MIT).

 

Haufenweise Verrisse

 

Das Buch (das zu zeichnen Forrester übrigens seinen Mitarbeitenden überliess) entwickelte sich zu einem Beststeller und verkaufte sich bis heute weit über 30 Millionen Mal. Die zeitgenössische Kritik war allerdings wenig begeistert. «An empty, misleading book» nannte es die «New York Times», «Pseudoscience at its worst» das «Times Literary Supplement». Von überall her hagelte es Verrisse, zunächst einmal natürlich von ökonomisch-liberaler Seite, bald aber auch von der linken. Da war von einer «imperialistischen Verschwörung» zu lesen, die nur dazu diente, «globale Ungleichheiten zu verfestigen». Denn eines fehlt in der Analyse von GdW konsequent: der soziale Faktor, die Möglichkeit auf einen Systemwandel. Grosse Teile der jungen Umweltbewegung, die aus den Studentenunruhen hervorgegangen war, konnte mit dem Buch nichts anfangen, da sie es für apolitisch hielt.

 

Kurz gesagt: Niemand war so richtig einverstanden. Und trotzdem traf das Buch einen Nerv. Dass GdW eine solche Wirkung entfalten konnte, hat viel mit der Zeit zu tun, in die es fiel. Weltuntergangs-Szenarien hatten Konjunktur seit Anfang der 1970er-Jahre, was mit dem Aufkommen ökologischer Bedenken zu tun hatte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hielt man die Fisch-Vorräte und auch andere Ressourcen noch für unerschöpflich, doch dann dämmerte es dem einen oder anderen Experten, dass die Erde der Menschheit wohl buchstäblich ihre Limiten aufzeigen werde, mehr oder weniger bald. Dazu kamen ökonomische Verwerfungen, die für Unsicherheit sorgten, vor dem Öl-Schock zum Beispiel bereits der empfindliche Rückgang der globalen Kornvorräte zwischen 1961 und 1973. Die Historikerin Elke Seefried schreibt: «In den 1960er-Jahren waren Studien auf dem Gebiet der Zukunftsforschung von Machbarkeitsglauben durchdrungen. Die meisten waren empirisch und optimistisch, was die Möglichkeiten der Technologie betrifft. Um 1970 jedoch wurden das Feld ökologisiert und erlebte eine pessimistische, ja dystopische Wendung.»

 

«Malthus with a Computer»

 

GdW war zwar das erfolgreichste Produkt dieser Wendung, aber keineswegs das einzige. Ebenfalls viel Aufsehen erregte «Blueprint for Survival», eine Nummer des englischen Magazins «The Ecologist» vom Januar 1972 – der Text war in vielem noch radikaler als GdW. Gemeinsam war all diesen Texten die Unausweichlichkeit des Crashs angesichts begrenzter globaler Ressourcen – häufig mit dem zentralen Schreckgespenst «Bevölkerungswachstum», das wird in heutigen Würdigungen häufig unterschlagen. Man kennt den Link vielleicht noch von der Ecopop-Initiative: im systemdynamischen Zusammenhang ist die Bevölkerungsgrösse einer der, wenn nicht der zentrale Parameter, um den sich alles dreht. Insofern waren all diese Zukunftsszenarien Wiedergänger von Malthus’ berühmtem Essay «On the Principle of Population» von 1798, der Ur-Warnung in Sachen exponentielles (Bevölkerungs)-Wachstum. Von manchen linken Kritikern wurde der Verweis auch explizit als Diffamierung benutzt, Malthus gab für die Kommunisten ein Lieblingsfeindbild ab: GdW = «Malthus with a Computer».

 

Tatsächlich beschrieb das GdW eigentlich noch einmal gleich: Egal wie man die Berechnungen laufen lässt, am Schluss läuft das Ganze aus dem Ruder, was katastrophale Verwerfungen zur Folge hat. Der einzige Ausweg: eine Abflachung der Wachstumskurven hin zu einem (fragilen) Gleichgewichtszustand. Wie man das hinbekommt? Mit viel staatlicher Kontrolle – viel konkreter wurden die Lösungsvorschläge indessen nicht. GdW war insofern ein anti-liberales Buch, auch wenn es die Forderung nur implizit machte. In manchen Teilen des politischen Spektrums fiel die Grundidee aber auf fruchtbaren Boden, zum Beispiel beim CDU-Politiker Herbert Gruhl. Ein starker Staat, wenn nötig eine Diktatur, sollte das Überleben sichern, indem er Bevölkerungskontrollen und eine Einschränkung des Konsums durchsetzte. Aufgrund seiner Vorstellungen verliess Gruhl bald die CDU und wurde Vorsitzender der konservativen Fraktion, die dann die neue Partei «Die Grünen» mitbegründete. Und auch manchen Kommunisten dämmerte es, dass die Auflösung des Staates, eigentlich die Krönung des emanzipatorischen Kommunismus, nicht als Utopie taugte – die klassenlose Gesellschaft musste warten. Der Staat sei das «unentbehrliche Instrument», um das durchzusetzen, was angesichts der Grenzen des Wachstums notwendig ist, schrieb der kommunistische Philosoph Wolfgang Harich 1975: Konsum-Verzicht, Geburten-Limitierung, Waren-Rationierung, Formung der menschlichen Bedürfnisse, zum Beispiel durch «gesetzlich verfügte Massen-[Konsum]Entziehungskuren».

 

Wissenschaftlich-methodische Weltuntergangsprophezeiung

 

Die Argumentation und die martialische Rhetorik waren übrigens nicht neu. So hatte schon der Verhaltensforscher (und eingefleischte Kulturpessimist) Konrad Lorenz aus ökologischen Gründen ein «technologisches Moratorium» gefordert, wie damals im Spiegel zu lesen war: «Er [Konrad Lorenz] fügte hinzu, dass ein solches Moratorium wohl nur von einer ,Schreckensherrschaft der Guten’ durchzusetzen sei, also mit autoritären Mitteln.» Das tiefsitzende Misstrauen gegenüber der industriellen Moderne hat offensichtlich eine weit längere Geschichte als die ökologischen Warnungen aus den 1970ern. GdW war im Grunde eine Neuauflage dieser Bedenken, im «modernen» Kleid einer Modellrechnung aus dem Computer, was ganz bestimmt zur Durchschlagskraft des Berichts beitrug.

 

Diese Durchschlagskraft spürte man bis auf höchste Regierungsebene – so erachtete zum Beispiel Alan Cottrell, wissenschaftlicher Chefberater der britischen Regierung von Edward Heath, den «Forrester-Ansatz die wichtigste Entwicklung seiner Art seit Keynes' Allgemeiner Theorie.» Oder wie es in der «Zeit»-Rezension von GdW im Jahr 1972 hiess – durchaus einiges vorsichtiger formuliert: «Der Glaube an die Unfehlbarkeit der Mathematik und die Leistungsfähigkeit des Computers hat dazu geführt, dass die MIT-Studie teilweise hysterische Reaktionen ausgelöst hat. Die Prophezeiung des baldigen Weltuntergangs – bisher die Domäne obskurer Wahrsager – wurde hier erstmals mit modernen wissenschaftlichen Methoden versucht.»

 

Ist ein nicht-diabolisches Wachstum möglich?

 

«Versucht», wohlgemerkt, bis heute gehen die Meinungen auseinander, wie akkurat die Vorhersagen des Buchs wirklich waren. Es ist überhaupt schwierig, die Wirkung des Buchs von der allgemeinen gesellschaftspolitischen Strömung zu unterscheiden. Noch einmal die Historikerin Elke Seefried: «Die ökologische Wachstumskritik, die mit der Rezeption von ‘Die Grenzen des Wachstums’ zusammenfiel, zielte im Wesentlichen darauf ab, das lineare Paradigma von Fortschritt und Modernisierung in Frage zu stellen.» Markierte dieser Moment sogar den Beginn einer «zweiten Moderne», wie es bei Seefried heisst, einer Moderne, die sich ihrer Limitationen durchaus bewusst ist? Bleibenden Einfluss hat GdW aber auch jenseits des Wachstumsdiskurses entwickelt: Das Buch markiert den Anfang des Modellrechnungs-Ansatzes, der uns ja von der Klimawissenschaft sehr vertraut ist. Hier hat sich letztlich auch im Verhältnis zwischen Expertinnen und Experten und der Öffentlichkeit etwas Grundlegendes verändert. Bis GdW hatten sie lieber im Elfenbeinturm gewirkt; sie wussten um die Beschränktheit wissenschaftlichen Wissens, wenn es um Prognosen realer Entwicklungen ging – sie orakelten lieber nicht. Mit Forrester kam eine neue Un-Bescheidenheit ins Feld der wissenschaftlichen Zukunftsforschung. Dafür musste die Systemdynamik auch einiges an Kritik einstecken, die sie in jüngerer Zeit damit konterte, dass der Fokus auf die fertigen Prognosen falsch sei – der entscheidende Beitrag sei der Verständnisgewinn bei der Konstruktion des Modells. Da allerdings haben wir tatsächlich eine grosse Chance vertan in den 50 Jahren, die seit dem Erscheinen von GdW vergangen sind.

 

Allen methodologischen Schwächen zum Trotz lässt sich einiges lernen aus dem Ansatz, und sei es nur, dass die Welt ein unendlich komplexes Netzwerk von gegenseitigen Abhängigkeiten ist, und dass wir vorsichtig sein sollten, wenn wir mit einzelnen «Grössen» im System herumhantieren. Ob es, wenn man dies berücksichtigt, auch eine Möglichkeit gibt, den Wachstumsweg so zu gehen, dass er nicht ins Verderben führt? GdW schloss das eher aus, aber vielleicht war das auch der Vereinfachung des Modells geschuldet. Von qualitativen vs. quantitativem Wachstum war jedenfalls noch nicht explizit die Rede, aber als Hoffnung tauchte das Konzept schon damals auf: «Wachstum muss nur dann diabolisch werden, wenn es nicht in die richtigen Bahnen gelenkt wird», schloss die «Zeit» vor 50 Jahren ihre Rezension von GdW. Das hat heute noch ebenso Gültigkeit wie damals, aber es hat ein bisschen mehr Dringlichkeit inzwischen.

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