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09.12.2020 von Stefan Boss

Erfolgreich gegen «keckes Silber»

Seit drei Jahren ist die Quecksilberkonvention in Kraft. Obwohl nicht perfekt, ist das inter­nationale Abkommen ein erster wichtiger Schritt zum Schutz von Mensch und Umwelt vor dem hochgiftigen Schwermetall. Die Konvention diente auch als Vorbild für das Pariser Klimaabkommen. 

Artikel in Thema Umwelt im Recht
Illustration: Claudine Etter
Quecksilber ist ein Schwermetall, das bei Zimmertemperatur flüssig ist. Deshalb wurde es ursprünglich als lebendiges oder «keckes Silber» bezeichnet, woraus sich sein Name ableitet. Noch vor rund 30 Jahren verwendete man es in der Schweiz zum Beispiel in Fiebermessern oder als Legierung in Zahnfüllungen (Dentalamalgam). Da Quecksilber sehr giftig ist, sind solche Anwendungen heute bei uns tabu. Gefährlich ist der Stoff vor allem, wenn er direkt mit der Haut in Berührung kommt oder seine Dämpfe eingeatmet werden. Grossen Risiken setzen sich etwa Menschen aus, die Quecksilber im Kleinbergbau für die Gewinnung von Gold verwenden – es hat die Eigenschaft, den feinen Goldstaub zu binden. 
Vor sieben Jahren einigten sich 140 Staaten in Genf auf das internationale Quecksilber-Übereinkommen. In Anlehnung an eine japanische Stadt, in der es ab den 1940er-Jahren schwere Quecksilbervergiftungen gab, heisst sie auch Minamata-Konvention. Dieses erste Umweltabkommen des 21. Jahrhunderts enthält freiwillige und zwingende Massnahmen und nimmt alle Vertragsstaaten in die Pflicht. Deshalb war es Vorbild für das zwei Jahre später in Paris beschlossene Klima­abkommen (vgl. Interview mit Franz Perrez).

Schweiz federführend bei Aushandlung

Worum geht es? Einerseits verbietet das Abkommen die Eröffnung neuer Quecksilberminen, und bestehende Minen müssen bis 2032 geschlossen werden. Andererseits verlangt es, dass die Herstellung von quecksilberhaltigen Produkten wie Batterien, Thermometern und bestimmten Glühlampen gestoppt wird, sofern Alternativen vorhanden sind. 
Die Schweiz ist auch Vertragspartei und war bei den Verhandlungen federführend. Der Kopf dahinter ist Franz Perrez, Leiter Internationales beim Bundesamt für Umwelt (BAFU): «Wir haben versucht, in der Konvention den ganzen Lebenszyklus des Quecksilbers zu regeln: von der Förderung als Rohstoff über den Handel, die Verwendung in der Industrie bis zu den Abfällen», sagt er am Telefon. Ärmere Länder erhalten Perrez ­zufolge für die Umsetzung der Massnahmen finanzielle Unterstützung. Auch Schwellenländer wie Singapur oder Südkorea sind aufgefordert, sich an dem dafür geschaffenen Fonds zu beteiligen. 
Franz Perrez (53) ist Spezialist für Umweltrecht und engagierte sich ab 2003 für das Quecksilber-Übereinkommen. Er bezeichnet das Vertragswerk deshalb als «sein Kind» und erinnert sich, wie sein norwegischer Kollege und er in den Verhandlungen lange auf Widerstand stiessen. Schwierig war vor allem, grosse Staaten wie die USA und China an Bord zu holen. Der Durchbruch erfolgte 2009, als die Umweltminister an der ­Konferenz des UNO-Entwicklungsprogramms UNEP beschlossen, eine eigenständige Quecksilberkonvention auszuarbeiten.

Keine neuen Quecksilberminen

Inzwischen ist das Kind drei Jahre alt – solange ist der Vertrag in Kraft. Wie steht es mit der Umsetzung? Gemäss Perrez zeitigt das neue Übereinkommen Wirkung, 125 Länder haben es bisher ratifiziert. «Die Staaten halten sich grundsätzlich an die Konvention.» So sei ihm nicht bekannt, dass neue Quecksilberminen aufgegangen wären. Wenn ein Staat die Regeln verletze, liege das an mangelnden Kapazitäten, etwa wenn das Geld fehle. Es gibt zwar einen Compliance-Ausschuss, der über die Einhaltung der Konvention wacht. Die härteste Sanktion besteht allerdings lediglich darin, festzuhalten, dass ein Land die Bestimmungen nicht eingehalten habe. Die wenigen Staaten, die sich nicht vor Quecksilber schützen wollen, sind Perrez zufolge dem Übereinkommen gar nicht beigetreten. 
Sicherlich ihre Hausaufgaben gemacht hat die Schweiz. Die grauschimmernden Plomben aus Dental­amalgam zum Beispiel wurden hierzulande bereits vor Inkrafttreten der Konvention kaum mehr ein­gesetzt. Als direkte Folge des Übereinkommens hat das BAFU die Ein- und Ausfuhr von Quecksilber und Quecksilberverbindungen einer Bewilligungspflicht unterstellt. Der heikelste Punkt ist laut Perrez der Export von Dental­amalgam, da solche Plomben in ärmeren Ländern noch häufiger verwendet werden. Die Ausfuhr wird ab 2028 verboten.

Handlungsbedarf bei Kohlekraftwerken und im Goldabbau

Der deutsche Wissenschaftler Nils Simon bezeichnete das Quecksilber-Übereinkommen in einem Aufsatz der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik vor sieben Jahren als «Kompromiss mit Ausbaupotenzial». Er begrüsste die beschlossenen Massnahmen, bemängelte aber, dass das Abkommen bei Kohlekraftwerken bloss unverbindlich «auf beste verfügbare Techniken setze». Auch Kohle enthält nämlich Spuren von Quecksilber, und da diese in riesigen Mengen verfeuert wird, entstehen grosse Mengen an Quecksilber als Abfall. In diesem Bereich sei die Wirkung der Konvention noch schwer messbar, räumt auch Perrez ein. 
Wenig konkret ist auch die Regelung, dass im kleinteiligen Abbau von Gold betroffene Staaten Aktionspläne entwickeln sollen, um den Einsatz von Quecksilber zu verringern. Laut Marc Ummel, verantwortlich für das Dossier Rohstoffe beim Hilfswerk Swissaid, verabschiedeten sieben Staaten einen entsprechenden Plan. Es bleibe also noch viel zu tun. Für ihn ist die Mina­mata-Konvention aber «ein erster Schritt, der sehr wichtig ist». Beim Goldabbau sei nicht nur der Einsatz von Quecksilber ein Problem, hält er fest. «Es gibt auch Kinderarbeit, oder das Gold wird zur Finanzierung von Kriegen verwendet wie im Kongo.» Die Schweiz ist weltweit der grösste Handelsplatz für Gold. Deshalb fordern NGO wie Swissaid, Schweizer Gold-Raffinerien sollten eine Sorgfaltsprüfung vornehmen, so, wie dies auch die Konzernverantwortungsinitiative verlangt. 
Perfekt ist das Quecksilber-Übereinkommen also nicht. Mit multilateralen Abkommen lässt sich aber ­etwas erreichen, wenn man viel Geduld aufbringt. Dies ist ein Fazit, das Mut macht – auch für die Klimaverhandlungen. Die Frage ist allerdings, ob der Planet Erde mit dem Menschen so viel Geduld aufbringen wird.
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