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07.06.2023 von Simon Rindlisbacher

Es braucht mehr als nur Zugang

Mehr Menschen an sicheren Finanz­leistungen teilhaben zu lassen, hilft weltweit, Armut zu bekämpfen. Aber der ­Zugang zu Konten oder ­Krediten allein reicht nicht. Es braucht auch Finanz­bildung. Wie ­Banken dabei wichtige ­Akteure sein können, zeigen zwei Bei­spiele aus Bangladesch und Paraguay. 

Artikel in Thema Finanzielle Inklusion
Illustration: Claudine Etter

«Uthan Boithok» ist Bengalisch und bedeutet «Treffen im Innenhof». Genau das ist das gleichnamige Angebot der BRAC Bank in Bangladesch: 20 bis 30 Personen kommen in einem Dorf auf dem Land im Garten oder auf der Terrasse einer Nachbarin oder eines Nachbarn zusammen. Mit dabei: drei Mitarbeitende der Bank. Während einer bis zwei Stunden erklären diese den Anwesenden das Bankensystem, dass es einfach und sicher ist, Dienstleistungen von Banken zu nutzen – und natürlich auch, was ihnen die BRAC Bank zu bieten hat. «Weil die Gespräche in ländlichen Gebieten stattfinden, geht es oft um Heimatüberweisungen», erklärt Shafiqur Rahman Bhuiyan aus dem Kommunikationsteam der BRAC Bank. Denn gerade aus ländlichen Gegenden reisen viele Bangladeschi auf der Suche nach Arbeit ins Ausland – beispielsweise nach Malaysia. Von dort schicken sie einen Teil ihres Lohnes nach Hause zu ihren Familien. Mit den «Treffen im Innenhof» versuche die Bank, das Vertrauen der Menschen ins klassische Banksystem zu gewinnen – damit sie dieses auch für ihre Überweisungen aus dem Ausland nutzen würden, anstatt illegale Kanäle, sagt Bhuiyan. «Wer auf jene setzt, muss irgendeinem fremden Menschen vertrauen. Wenn das Geld verloren geht, hat man keine Chance, es zurückzuerhalten.» 


Finanzdienstleistungen in entlegene Regionen bringen

«Uthan Boithok» ist eine Dienstleistung, welche die BRAC Bank im Rahmen ihrer Agent Banking Services anbietet. Damit macht die Bank ihr Angebot auch Menschen in den entlegensten Winkeln Bangladeschs zugänglich. «Agents» werden können beispielsweise kleine Geschäfte, Cafés, Büros von NGO oder der Regierung. Nach einer Einführung bieten diese als Vertretung der BRAC Bank Dienstleistungen an. Insgesamt gibt es heute über 1000 solche Vertretungen, 800 davon in ländlichen Regionen. Zum Service der Bank gehört, dass Personen, die über einen «agent» Kundinnen und Kunden geworden sind, hin und wieder von Mitarbeitenden der Bank selbst angerufen werden. «Sie reden mit den Kundinnen und Kunden über deren Sorgen und Bedürfnisse oder erklären ihnen Bankprodukte und helfen bei Fragen rund ums Bankgeschäft», erklärt Bhuiyan. Nur seien die Menschen auf dem Land via Telefon oft nicht gut erreichbar. Deshalb sei die Idee entstanden, sie zu besuchen und auch gleich ihre Nachbarinnen und Nachbarn anzusprechen.


Finanzbildung gehört bei vielen Angeboten dazu

Finanzwissen zu vermitteln, gehört unterdessen zum Geschäftsmodell der BRAC Bank. Sie wurde 2001 von der gleichnamigen Entwicklungsorganisation gegründet, um in Bangladesch die finanzielle Inklusion zu fördern und jene Menschen zu erreichen, die noch keinen Zugang zu Bankdienstleistungen haben. Auf diese Weise will die Bank, die zur Global Alliance for Banking on Values (GABV) gehört, in Bangladesch einen Beitrag zur Verminderung der Armut leisten. Heute wird bei vielen Angeboten die Finanzbildung gleich mitgeliefert, für KMU etwa Kurse zu Buchhaltung und Businessplanung. Kleinbäuerinnen, Fischer, Ladenbesitzerinnen, Viehzüchter, deren Betriebe für Mikrokredite zu gross und für klassische Banken zu klein sind, bilden seit der Gründung die zentrale Zielgruppe der BRAC Bank. «Ihnen bieten wir also ein Komplettpaket an: einen Kredit und das nötige Wissen im Umgang damit», erklärt Shahriar Rahman aus dem Nachhaltigkeitsteam der BRAC Bank. 
Auch in ihrem Programm  «TARA» ist Finanzbildung integriert. Es richtet sich an Frauen, die sich selbstständig machen wollen. Die Bank stellt ihnen nicht nur günstige Kredite zur Verfügung, sondern bietet gleichzeitig auch Beratung für die Geschäftsplanung oder Marketing-Kurse an. Für Schülerinnen und Schüler hat die BRAC Bank ebenfalls einen Kurs entwickelt. Sie lernen, wie sie die eigenen Finanzen planen und Geld sparen können, damit sie später genug Geld für ein Universitätsstudium haben. «Die Schülerinnen und Schüler tragen das Wissen nach Hause. So erreichen wir indirekt auch ihre Familien», erklärt Bhuiyan.


Wissen hilft, Risiken zu mindern

Dass die BRAC Bank als Teil ihres Engagements für finanzielle Inklusion nicht nur Dienstleistungen an­bietet, sondern ihrer Kundschaft auch grundlegende Finanzkompetenzen vermittelt, passt zu einer wichtigen Erkenntnis der internationalen Gemeinschaft der letzten Jahre: Für die finanzielle Inklusion von Menschen reicht es nicht, einfach die gängigen Finanzdienstleistungen zugänglich zu machen. Denn was nützt der Zugang zu Dienstleistungen, wenn man diese gar nicht kennt oder nicht zu nutzen weiss? Es braucht Finanzbildung, die den Menschen vermittelt, welche Dienstleistungen ihnen zur Verfügung stehen. Sie muss aufzeigen, wie sie diese sinnvoll nutzen können, und sie dazu anregen, dies auch zu tun. Darüber hinaus muss Finanzbildung die Menschen befähigen, den Überblick über die eigene finanzielle Lage zu behalten und zu sparen. Und sie muss dafür sensibilisieren, dass langfristige finanzielle Planung wichtig ist. In einer Studie hielt die OECD 2020 fest, dass Bildung auf diese Weise dazu beitragen kann, dass finanzielle Inklusion Menschen aus der Armut hilft und generell ihr Wohlergehen verbessert. 
Wer hingegen nur Finanzdienstleistungen ohne passende Bildung anbietet, riskiert im besten Fall, dass die Angebote einfach nicht genutzt werden. Im schlimmsten Fall tragen die Personen, denen man helfen wollte, sogar Schaden davon. Sie übersehen möglicherweise versteckte Kosten oder laufen Gefahr, sich zu verschulden, wenn ihnen beispielsweise nicht klar ist, wie eine Kreditkarte funktioniert oder wie man den Überblick über die eigenen Finanzen behält. Wie wichtig es ist, mittels Finanzbildung solche Risiken zu minimieren, hält auch die Consultative Group to Assist the Poor (CGAP) fest. Sie vereint über 30 Entwicklungsorganisationen aus der ganzen Welt; auch die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Bundes (Deza) gehört dazu. In ihrem aktuellen Strategiepapier schreibt die CGAP: «Da arme Menschen in ihrem Finanzleben nur einen sehr geringen Spielraum für Fehler haben, ist  es wichtig, dass ihre ‹Reise› richtig verläuft, um ihre Erwartungen und Bedürfnisse zu erfüllen.» 


Kundschaft vor negativen Auswirkungen schützen

Damit die Reise ihrer Kundinnen und Kunden richtig verläuft, bietet auch Visión Banco Finanzbildung an. Die Bank aus Paraguay ist wie die BRAC Bank Mitglied des werteorientierten globalen Bankennetzwerks GABV und betrachtet finanzielle Inklusion als eines ihrer Kernanliegen. Zu ihrem Finanzbildungsprogramm sagt Ronald Caffarena, Leiter der Finanzabteilung: «Verantwortung für unsere Produkte und Dienstleistungen zu übernehmen, ist einer der grundlegenden Pfeiler unseres Geschäftsmodells. Dazu gehört, dass wir unsere Kundinnen und Kunden vor den möglichen negativen Auswirkungen von Finanzprodukten und -dienstleistungen schützen.» Im Angebot sind zurzeit zwei Kurse. Der erste vermittelt Privatpersonen grundlegende Finanzkompetenzen: Sie lernen unter anderem, wie man ein persönliches Budget erstellt und wie es gelingt, regelmässig etwas Geld auf die Seite zu legen. Der zweite richtet sich an Firmenkunden und stärkt sie in der Unternehmensführung. «Die Unternehmerinnen und Unternehmer lernen, wie sie ihr Geschäft verwalten und weiterentwickeln können. Auch vermitteln wir wichtige Marketing-Kompetenzen», erklärt Caffarena. Beide Kurse sind kostenlos.
Seit 2022 bietet Visión Banco den Kurs für Firmenkunden vollständig online an und hat dafür extra eine eigene Online-Plattform geschaffen. Auch wenn nicht alle Zielgruppen Zugang zum Internet hätten, könne dadurch die Reichweite stark erhöht werden, sagt Caffarena. «Wir sind überzeugt, dass Finanzbildung der Schlüssel zur finanziellen Eingliederung ist, da sie dazu beiträgt, das Wissen und das Verständnis für Finanzprodukte und -dienstleistungen zu verbessern und damit deren Nachfrage und Nutzung zu fördern.» 


Bildung statt Ausbau der Finanz-Infrastruktur

Ist Finanzbildung also einfach eine Marketing-Massnahme, um neue Kundinnen und Kunden zu gewinnen? Shahriar Rahman von der BRAC Bank gibt zu, dass Finanzbildung als zusätzlicher Service auch einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz bringt. «Auf dem Bankenmarkt in Bangladesch sind über 60 Banken tätig, und die Konkurrenz ist entsprechend gross.» Wer Umsatz machen will, muss sich also abheben. Dass Banken dank Finanzbildungsprogrammen den Absatz ihrer Dienstleistungen erhöhen, sieht die CGAP als Chance. Denn die Vereinigung von verschiedenen Entwicklungsorganisationen aus der ganzen Welt geht – zumindest was digitale Finanzangebote angeht – davon aus, dass die zunehmende Nutzung mittelfristig erschwinglichere Dienstleistungen ermöglicht. Das wiederum hilft den Anbietern, auch einkommensschwächere Schichten zu erreichen und so die finanzielle Inklusion voranzutreiben. 
Unterdessen scheint auch klar, dass Finanzbildung tatsächlich zur finanziellen Inklusion beiträgt. Mehrere Studien bestätigen diese Erkenntnis. So hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung 2017 anhand von Daten aus 143 Ländern herausgefunden, dass Finanzbildung nicht nur den Zugang zu vorhandenen Finanzdienstleistungen stärkt, sondern auch deren Nutzung. Für Länder, in denen die Finanzinfrastruktur nur wenig ausgebaut ist, kann sogar gelten: Finanzbildung fördert die finanzielle Inklusion gleich stark wie der Ausbau der Infrastruktur. Ein Land mit nur wenigen Bankfilialen kann also zunächst in die Finanzbildung investieren, anstatt das Bankennetz zu erweitern. Die Wirkung auf die finanzielle Inklusion ist die gleiche.

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