Frauen, die Geld bewegen

«Cherchez les femmes» – Schweizer Banken und Finanzinstitute suchen Frauen für ihre Führungsgremien. Die Grossbanken haben die Genderfrage jüngst sogar zur Priorität erklärt: Headhunter feilschen hinter den Kulissen um Kandidatinnen, einige Kantonalbanken haben für ihre Verwaltungsräte zur Quote gegriffen. Immerhin 21 Prozent beträgt der Frauenanteil in den Verwaltungsräten der Banken, nur bei wenigen Banken – unter anderem auch der Alternativen Bank Schweiz – ist die Geschlechterquote (nahezu) ausgeglichen. Noch dürftiger sieht es in der operativen Geschäftsleitung aus: Nur drei Prozent der Schweizer Banken-CEO sind weiblich, acht Prozent zählt der Frauenanteil auf Stufe der Geschäftsleitung, elf Prozent im Top-Kader. Die Banken liegen damit unter dem Mittel von 113 grossen Unternehmen, die für den sogenannten Schillingreport 2018 befragt wurden. Wollen die Frauen etwa gar nicht, obwohl man sie braucht?

Der Ruf nach mehr Bankchefinnen hat wirtschaftliche Gründe: Der Fachkräftemangel gehört zu den meistgenannten Sorgen von Schweizer Unternehmen. Zudem ist hinlänglich erwiesen, dass gemischte Teams bessere Entscheide fällen. «Innovation bedingt positiv gelebte Heterogenität», weiss Sita Mazumder, Ökonomieprofessorin an der Hochschule Luzern und – nebst zahlreichen weiteren Engagements – Verwaltungsrätin bei der Clientis Bank. Die Banken sind ja auch wirklich auf frische Ideen angewiesen: Sie mussten sich vom Bankgeheimnis verabschieden, die dauerhaft tiefen Zinsen schmälern ihre Erträge, und mit der Digitalisierung drängen branchenfremde Fintech-Unternehmen in den Markt. Hinzu kommt der demografische Wandel: «Die Banken müssen vermehrt auf die Bedürfnisse der jüngeren Generationen und der Frauen eingehen.» Sita Mazumder ergänzt: «Aber auch die Frauen müssen ihren Teil beitragen.» Doch worin besteht dieser Beitrag? Wir haben Frauen gefragt, die wie Sita Mazumder die gläserne Bankendecke durchbrochen haben.

Es braucht Hartnäckigkeit. «Wenn mir die Herren nicht zuhörten, wiederholte ich mich, einmal, wenn nötig auch zweimal», erinnert sich Antoinette Hunziker-Ebneter. Heute, als gestandene Verwaltungsratspräsidentin der Berner Kantonalbank und als CEO und Gründungspartnerin der Forma Futura Invest AG, muss sich die frühere Chefin der Schweizer Börse nicht mehr erst Gehör verschaffen, um sich für ein familienfreundliches Arbeitsumfeld starkzumachen.
Durchhaltewillen bewiesen hat auch Sabine Döbeli, CEO von Swiss Sustainable Finance. Doch sie musste auch feststellen: «Es braucht die richtige Dosierung. Ein allzu forsches Auftreten kommt als Frau nicht gut an.» Selbstsicherheit holt sie sich durch Kompetenz. Sabine Döbeli war an den entscheidenden Wegmarken ihrer Karriere die Frau, an der fachlich kein Mann vorbeikam. Für Sita Mazumder gehören Authentizität und Kompetenz zusammen und sind beide wichtig: «Um authentisch zu sein, muss ich wissen, wer ich bin, was ich will und was ich kann.» Dann würden fast automatisch auch die Schultern breiter, was es für eine Karriere in der Finanzbranche – und auch in der akademischen Welt – durchaus brauche. Quotenfrau? «Höre ich immer wieder. Es ist nicht lässig, aber ich kann damit umgehen.»

Hunziker-Ebneter ist überzeugt, dass die Grundlage für ihre Karriere in ihrer Kindheit gelegt wurde: «Chancengleichheit war selbstverständlich.» Später hat sie sich bewusst ein passendes Umfeld gesucht: einen Arbeitgeber, der sie förderte, einen Mann, der bei der Familienarbeit mit anpackt. Oder sie hat sich das Umfeld selbst geschaffen, wie die Kindertagesstätte, die sie an ihrem Wohnort gründete. Am Anfang ihrer Karriere stand ein Vorgesetzter, ein US-Amerikaner, der ihr einen wertvollen Rat mit auf den Weg gab: «70 Prozent Erfolg vs. 30 Prozent Misserfolg sind eine gute Quote.» Das nahm sich Hunziker-Ebneter zu Herzen, und es nahm viel vom Druck, immer perfekt sein zu müssen. Und es macht Mut, etwas zu wagen und auch ein Scheitern in Kauf zu nehmen. Hunziker-Ebneter musste in ihrer Karriere auch Rückschläge einstecken. «Wichtig ist, dass man aus den Fehlern lernt.» Auch für Sita Mazumder ist «effizient Aufstehen nach Rückschlägen» zentral und: Unterstützung suchen. Frauen machten oft das Gegenteil: Sie ziehen sich zurück und fallen damit frühzeitig aus dem Rennen um eine spätere Spitzenposition.

Warum haben sich diese drei Frauen in ihre Karrieren «hineingekniet», wie dies Facebook-COO Sheryl Sandberg in ihrem umstrittenen Buch «Lean In» von den Frauen fordert? Auch bei Döbeli kamen gelegentlich Zweifel auf ob der Kultur, die in der Finanzbranche herrscht und die viel Stress erzeugt – nicht unbedingt echten, sondern eher künstlichen Stress, wie sie ergänzt. Warum hat sie nicht resigniert? «Weil mich das Thema interessiert und ich überzeugt bin, dass nachhaltig An­legen etwas bewegen kann.» Die drei Frauen haben erkannt: «Geld bewegt die Welt» und können in ihrer Position dazu beitragen, dass das Geld in Unternehmen fliesst, die ökologisch und gesellschaftlich nachhaltig handeln. Es dürfte kein Zufall sein, dass Finanzinstitute, die sich zu einer nachhaltigen Anlage- und Geschäftspolitik bekennen, ganz offenbar weniger Probleme bekunden, fähige Frauen zu rekrutieren. Stimmen die Werte und die Ziele des Arbeitgebers mit denjenigen der Frauen überein, sind diese auch bereit, sich hineinzuknien. Gut, dass auch bei den Anlegerinnen und Anlegern ein Umdenken stattfindet: Auch die institutionellen Investoren wie Pensionskassen und Versicherungen legen zunehmend Wert darauf, ihre Gelder nachhaltig anzulegen.

Vorbilder sind wichtig, und sie inspirieren. Doch es braucht mehr. «Es ist nicht damit getan, Diversity-­Programme zu lancieren», schreibt die Schweizer Harvard-Professorin Iris Bohnet in ihrem Buch «What Works». Diese könnten sogar das Gegenteil bewirken, weil Menschen dazu neigen, gutes Verhalten zu überkompensieren. Etwa der Büroangestellte, der die Treppe hochsteigt und sich als Belohnung einen Doppelbuttergipfel zur Kaffeepause gönnt. Bohnet, die auch dem Verwaltungsrat der Credit Suisse Group angehört, zeigt auf, wie Stereotype unbewusst Männer befördern und Frauen behindern. In einem Experiment schätzen Harvard-Studierende Harald kompetenter ein als Heidi, obwohl nur der Name unter dem Dossier geändert wurde. Der prototypische Bankenchef in unseren Köpfen ist: männlich. Was lässt sich dagegen tun? Man müsse nicht die Frauen ändern, sondern die Spielregeln anpassen, schreibt Bohnet. Wie das geht? Zum Beispiel so: Seit ihre Kandidatinnen und Kandidaten hinter einem Sichtschutz vorspielen, stellen renommierte US-Orchester ­signifikant mehr Frauen ein. Ein simpler Vorhang hat den Talentpool verdoppelt.

Nun können potenzielle Banken-CEO kaum hinter einem Vorhang vorsprechen, aber mit einem geeigneten Verhaltensdesign – zum Beispiel standardisierte Fragebogen, Auswertung mithilfe von Algorithmen – lässt sich die Chancengleichheit verbessern. Wichtig ist, dass dies nicht erst passiert, wenn es um Spitzenpositionen geht. Wenn Frauen bereits ganz am Anfang ihrer Karriere weniger oft und später befördert werden und weniger verdienen als die Männer, dann fehlen sie am Schluss an der Spitze. Doch Stereotype sitzen in Frauen- genauso fest wie in Männerköpfen. Auch Frauen müssen ihren Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen, damit es künftig mehr Bankenchefinnen gibt.