«Kein Bedürfnis und zu viele offene Fragen»

Sind Kryptowährungen bei der ABS und ihrer Kundschaft ein Thema? 
Reto Gerber Nein, bis jetzt nicht. 

Warum ist das so? 
RG: Unsere Kundinnen und Kunden sehen wohl den hohen Energieverbrauch, der beim Mining entsteht, kritisch. Wahrscheinlich fehlt vielen auch eine stärkere Verknüpfung zur Realwirtschaft. 

Markus Ott: In den Medien werden Krypto­währungen oft im Zusammenhang mit Spekulation thematisiert. Bei der ABS steht man der Idee, Geld mit Geld zu verdienen, kritisch gegenüber, weil das unserem Prinzip der Realwirtschaftlichkeit widerspricht. Da liegt eine Skepsis gegenüber Kryptowährungen nahe.


Wie steht denn die ABS als Unter­nehmen zum Thema? 

RG: Auch wir beurteilen die Realwirtschaftlichkeit und die Nutzung zu Spekulationszwecken als kritisch.

MO: Bei der ABS fragen wir immer, was förderwürdig ist, ohne dass es schwer­wiegende negative Auswirkungen hat auf Umwelt und Gesellschaft. Bei Krypto­währungen müssten wir beurteilen, welchen sozialen und ökologischen Mehrwert sie bringen und wie dieser zu den nega­tiven Auswirkungen steht. Bis jetzt haben wir das noch nicht gemacht.

Was genau würdet ihr denn bei Kryptowährungen prüfen?

MO: Aus ökologischer Sicht müssten wir als Erstes den Energieverbrauch beurteilen, und dies möglichst differenziert: Wir würden zum Beispiel auch vergleichen, wie Kryptowährungen beim Verbrauch im Vergleich zur traditionellen Geldinfrastruktur oder zum Schürfen von Gold abschneiden. Dann würden wir die Lieferketten überprüfen: Wo kommen die Grafikkarten und der Rest der Hardware her, die es für das Mining* braucht?  

Und rund um die soziale Nachhaltigkeit, welche Aspekte würdet ihr da anschauen?

MO: Aus sozialer Sicht wären die Miner ein Thema und ob es da etwas zu beachten gibt. Dann ist die Frage, wie wir die Governance beurteilen.

RG: Bei der Governance sehe ich vor allem kritisch, dass Kryptowährungen nicht reguliert sind. Das lädt unter anderem zu Geldwäscherei ein. Die Frage ist, wie 
die Regulierung ausgestaltet sein müsste. Was wäre die Rechtsgrundlage? Wer hätte die Gerichtsbarkeit?

Bruno Sonderegger: Dann muss auch bedacht werden, dass die Macht der National­banken geschwächt wird, wenn man auf Kryptowährungen setzt. Man entzieht sich dieser ja bewusst. Was hat das für Auswirkungen auf die Geldpolitik und das globale Wirtschaftssystem? 

MO: Letztlich scheint mir auch eine philosophische Frage spannend: Bei Krypto­währungen geht es immer auch um mangelndes Vertrauen in den Mitmenschen oder besser in das von Menschen gemachte System. Es scheint mir, dass die Menschheit versucht, Vertrauen auf die Maschine abzuwälzen, das man den Mitmenschen nicht entgegenbringen will, vielleicht weil man sich nicht mehr kennt. Befürworten wir ein solches Menschenbild? 


Was könnte denn ein Mehrwert von Kryptowährungen sein? 

RG: Positiv finde ich, dass Kryptowährungen Menschen in Emerging Markets den Zugang zu Bankdienstleistungen ­ermöglichen, die vorher keinen Zugang ­hatten. Es entstehen neue Märkte 
mit Geldgebenden und -nehmenden. 

BS: Hinzu kommt, dass, wer in Emerging Markets ein Konto hat, oft hohe Trans­aktionskosten zahlt. Diese sind bei den gängigen Kryptowährungen im Vergleich verschwindend klein. Zudem können Menschen in Emerging Markets ihr Erspartes vor einer möglichen Abwertung der Lokalwährung gegenüber den Hartwährungen wie beispielsweise dem US-Dollar oder dem Schweizer Franken schützen, wenn sie es zum Beispiel in Bitcoin anlegen.

Sind Kryptowährungen nicht zu volatil, um den Menschen in den erwähnten Emerging Markets etwas zu bringen? 

BS: Wenn wir die Entwicklung von Bitcoin seit dem Einmarsch von Russland in die Ukraine bis Ende März anschauen, sehen wir, dass die Währung zwar volatil ist, aber eine Aufwertung erfahren hat. Diese Entwicklung könnte darauf hindeuten, dass Bitcoin, ähnlich wie Gold, einen gewissen Schutz vor Inflation und vor expansiver Geldpolitik von Nationalbanken bieten könnte. Das war auch ein Ziel der Gründer der Währung. Langfristig gesehen, kann ich mir vorstellen, dass besonders die Blockbuster wie Bitcoin oder Ethereum im Kurs stabiler werden.

RG: Im Moment sind die Kursschwankungen der Währungen aber noch sehr gross. Für Anlegende mit kleinen Vermögen, die dieses unter Umständen auch kurzfristig benötigen, ist das ein beachtliches Risiko.


Was für einen Mehrwert können Krypto­währungen denn rein aus Portfoliomanagement-Sicht in einem Anlageportfolio bringen? 

BS: Die Entwicklung des Kurses von Kryp­towährungen verläuft weniger konjunkturabhängig als zum Beispiel jene von Aktien. Sie hängt grösstenteils von anderen Faktoren ab. Das macht es spannend, solche Währungen im Asset-Management zu berücksichtigen. Wir könnten damit ein Portfolio zusätzlich diversifizieren. Wegen des hohen Risikos würde ich in der Vermögensverwaltung aber je nach Mandat nur ein bis zwei Prozent investieren. Aber natürlich müsste sich zuerst zeigen, dass diese Währungen überhaupt nachhaltig genug sind.


Kryptowährungen sind bei der Kundschaft zwar noch kein Thema. Sollte sich die ABS in den nächsten Jahren trotzdem näher damit aus­einandersetzen?

RG: Bis jetzt fehlt das klare Kundenbedürfnis, und es gibt noch viele offene Fragen, was die Nachhaltigkeit anbelangt. Unter dem Strich ist deshalb der Handlungs­bedarf aus meiner Sicht nicht akut. Aber es macht Sinn, in den nächsten Jahren die Währungen genauer unter die Lupe zu nehmen, um eventuell unserer Kundschaft weitere Diversifizierungsmöglichkeiten bieten zu können. Die Voraussetzung ist allerdings, dass unsere Analysen ergeben, dass die ABS Kryptowährungen künftig auch von den Werten her unterstützen kann und will.

MO: Die ABS schreibt sich die Pionierhaftigkeit auf die Fahne. Ich würde es daher begrüssen, wenn wir auch bei diesem Thema vorangehen und den sozial und ökologisch nachhaltigen Umgang mit Kryptowährungen fördern würden. Es gibt auch schon jetzt Kryptowährungen mit einem nachhaltigen Ansatz, die den Klimaschutz zum Ziel haben, beispielsweise Single Earth oder der Klima-Dao. Diese Nische müssten wir genauer ansehen.