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23.09.2020 von Roland Fischer

Kunst ist, von der Kunst zu leben

Wie findet man als Künstlerin oder Künstler in der Schweiz ein Auskommen? Drei Kunstschaffende aus unterschiedlichen Generationen geben Auskunft über die Vereinbarkeit von Kunst und Familie, Brotjobs, staatliche Förderung, «Business»-Kurse an Hochschulen und die Schwierigkeit, den objektiven Wert einer künstlerischen Arbeit zu bestimmen.

Artikel in Thema Kunst und Geld
Illustration: Claudine Etter
moneta: Spielte die Frage, ob man als Künstlerin oder Künstler ein Auskommen hat, zu Beginn Ihrer Laufbahn eine Rolle?

Katharina Henking:
Ich war nie so blauäugig, zu denken, dass ich als Künstlerin viel Geld verdienen würde. Damals gab es in der Schweiz auch noch kaum Ausbildungen für bildende oder freie Kunst. Ich habe die Grafikfachklasse besucht. Grundsätzlich ist es wohl so, dass man sich nicht allzu viele Sorgen in Sachen Geldverdienen macht, wenn man jung ist. Das holt einen mit Wucht später ein.

Karen Moser: Mir war schon bewusst, dass ich wahrscheinlich nebenbei einen Brotjob verrichten muss.

Marcel Meury: Ich war durchaus blauäugig – beziehungsweise ich bin es immer noch. Ich hatte zwar keine Ahnung von einem Markt, aber eine klare Vorstellung, dass ich von meiner Kunst werde leben können.

Und, wie ist die Lage heute?

Marcel Meury: Ich persönlich hätte durchaus so leben können, mit einem Reisschüsselchen irgendwo: wenig Aus­gaben und wenig Sicherheit. Aber als ich Vater wurde, realisierte ich: Für mich könnte ich diese Verantwortung leicht tragen, aber ich kann dieses Leben nicht auch noch meiner Tochter auferlegen. Nun habe ich auch einen Teilzeitjob.

Katharina Henking: Bei mir war das auch so. Es gab ja ­damals in den 1980er-Jahren durchaus diesen Groove des Antikommerziellen. Eine Ausstellung machen und rein gar nichts verkaufen: Das galt als cool. Aber als ich Mutter wurde, stellte sich die Frage nach dem Geld­verdienen ­erstmals mit aller Dringlichkeit. Als ich dann noch allein­erziehend wurde, gab es dann auch Stimmen aus meinem familiären Umfeld, die fanden, jetzt müsse ich halt auf die Kunst verzichten.

Katharina Henking (*1957, Winterthur). Von 1975 bis 1980 gestalterischer Vorkurs und Grafikfachklasse Schule für Gestaltung St.Gallen. Lebt und arbeitet nach Lebens­stationen in St.Gallen und Deutschland seit 1991 in Winterthur. Arbeitet in den Medien Zei
Karen Moser, Sie haben noch keine Familie. Also ein Reisschüsselchen-Leben?

Karen Moser: Ich habe immer mal wieder kleine Jobs ­nebenbei, das funktioniert ganz gut. Eine echte Perspektive ist es aber nicht, dieser Verdienst reicht nicht für eine Altersvorsorge oder einen Krankheitsfall. Grundsätzlich ist es wohl so, dass es zu Beginn eines Künstlerlebens am einfachsten ist, sich finanziell über Wasser zu halten.

Weshalb?

Karen Moser: In der Schweiz geniessen wir das Privileg ­einer Vielzahl unterstützender Strukturen: Kunst­preise, Stipendien, Residencies. Davon zu leben, werde jedoch mit zunehmendem Alter schwieriger, habe ich gehört. Es stellt sich auch die Frage, inwiefern Kunstschaffende in der Schweiz in einem Pseudoprekariat leben. Studien zufolge kommt die Mehrheit aus gut gestellten Milieus

Marcel Meury:
Bei mir ist das allerdings nicht der Fall. Ich komme aus einer armen Familie. Aber ja, mir ist diese soziale Schichtung in der Zeit als Assistent an der Zürcher Hochschule der Künste auch aufgefallen.

Wie ist denn die Situation an den Kunst­­hochschulen, wie viel «Business» lernt man da?

Katharina Henking: Bei uns war das damals kein Thema. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir das diskutiert hätten.

Karen Moser: Wie hast du denn die Preise gemacht bei der ersten Ausstellung?

Katharina Henking: Man hat sich bei Leuten Rat geholt, die damit schon Erfahrung hatten. Sehr unsystematisch.

Karen Moser: Ja, ich weiss noch, als man mir riet, 3500 Franken zu verlangen, dachte ich nur: Hey, gehts noch?

Marcel Meury: Die Ausrichtung der Schule in Zürich war ja nie so, dass sie auf den Markt abgezielt hat, zumindest im Bereich Fine Arts. Es ist natürlich auch ein Privileg, zu sagen: Mich interessiert das nicht. Inzwischen hat sich das aber geändert, ich erinnere mich selber noch an die Kämpfe zwischen Studenten undLehrerschaft in dem Zusammenhang. Heute hat kaum jemand mehr einen Abwehrreflex, wenn man Geldbelange vermitteln will.

Karen Moser: Bei uns an der Hochschule der Künste Bern gab es einen Blockkurs «Woher das Geld für die Kunst?», da ging es um sehr praktische Fragen der Geldbeschaffung: Eingabedossiers schreiben und solche Sachen. Der Kurs war immer beliebt und rasch ausgebucht.

Karen Moser (*1988, Thun). Bachelor Fine Arts HKB Bern, Master an der Sint Lucas School of Art, Antwerpen. 2019 Gewinn des Aeschlimann-Corti-Stipendiums, seit diesem Jahr auch als Co-
Wenn man als junge Künstlerin oder junger Künstler noch keinen exakten Marktwert hat, diskutiert man dann mit dem Galeristen darüber, wie viele Stunden man in ein Werk gesteckt hat?

Marcel Meury: Nein, das macht man nie. Man versucht, ungefähr abzuschätzen, wo der Marktwert liegen könnte. Aber das ist dann natürlich alles sehr fiktiv. Wir haben da ein grundsätzliches Problem mit der Messbarkeit. Und damit noch grundsätzlicher: dass der Wert der Kunstarbeit kaum objektiv festzustellen ist.

Karen Moser: Ja, es ist in der zeitgenössischen Kunst ein eher schwieriges Unterfangen, den Wert im Sinn einer handwerklichen Arbeitsleistung festzulegen. Wie soll man zum Beispiel die Entwicklung einer konzeptuellen res­­pek­tive immateriellen Arbeit «verrechnen»? Ich kann ja schlecht in der Stundenerfassung notieren: «Zwei Stunden in die Luft geschaut». Ist das Arbeits- oder Freizeit? Das ist notorisch unscharf im Kunstkontext.

Katharina Henking: Es gäbe zwar von den Verbänden ­vor­gegebene Stundenansätze, aber die Stunden ­aufzuschreiben, die man an einem Werk gearbeitet hat – das ist illusorisch.

Marcel Meury: Ich persönlich wage mich zwar auf den Markt, aber ich suche mir die Käufer selbst, ohne Galerie. Es geht dabei durchaus auch darum, die Hoheit zurückzu­erlangen und den Wert meiner Arbeit selbst zu bestimmen. Das Thema begleitet mich schon lange: Ich wollte auch schon eine Bank gründen, ich habe bereits Gespräche mit der ABS geführt diesbezüglich. Aber das ist eine andere ­Geschichte.

Wie sieht es denn aus, wenn man von einer öffentlichen Institution eingeladen wird, sein Werk in einer Ausstellung zu zeigen?


Karen Moser: Da muss sich dringend etwas ändern, wir müssen dafür einstehen, dass es klare und faire finanzielle Konditionen gibt, wenn man ausstellt.

Marcel Meury: Unbedingt. Es ist an der Zeit, das Kunstgeld, das in den Museen steckt, radikal anders zu verteilen. Das darf nicht einfach alles im Betriebsbudget der Aus­stellungs­räume verschwinden, Künstler müssen ­entschädigt werden für ihre Arbeit.

Marcel Meury (*1975, ­Zürich). Aufgewachsen in ­Dübendorf, führt er ein ­vorbildliches Leben mit ­seiner Familie in der Schweiz und in Frankreich. Foto: zvg

Karen Moser: Im Moment erlebe ich die Ausstellungs­realität allzu oft noch so: Ich produziere ein Werk, ich transportiere es, hänge es, und am Schluss schreibe ich sogar noch den Ausstellungstext selber. Und dafür bekomme ich ­wenig oder nichts.

Katharina Henking: Diese Forderungen sind wichtig. Und langsam findet ein Umdenken statt. Auch bei mir: Lange Zeit war das einfach so in mir drin – ich mache mein Zeug und kümmere mich nicht um die finanziellen Konditionen.

Karen Moser: So ist es meistens: Man hat ein Werk im Kopf, und dann realisiert man es, so gut, wie man kann – egal wie gross der Aufwand wird. Über die Finanzierung macht man sich oft erst nachher Gedanken.

Katharina Henking: Eine Zeit lang begann ich, einen richtigen Hass aufs Publikum zu entwickeln: Die können einfach so kommen und Kunst gratis konsumieren.

Das heisst: Wertschätzung via Eintrittsgeld?

Karen Moser: Ich bin nicht so sicher, ob ich damit einverstanden bin. Ich finde, der Zugang zu Kunst soll den ­Menschen offenstehen, unabhängig von ihrer finanziellen Lage. Es ist auch eine politische Frage, ob sich eine Ge­sellschaft Kultur leisten möchte und deren Wert anerkennt.

Marcel Meury: Das ist allerdings ein Dilemma. Eine Lösung für alle gibt es nicht, letztlich muss jede und jeder selber entscheiden, welche Form für die eigene Praxis passend ist. Will man eine geschlossene, gut betreute Ausstellungs­situation oder macht man das möglichst auf, wie im Fall von aktivistisch und sozial geprägten Werken.

Katharina Henking: Wie auch immer man seine Arbeit versteht, ein Missverständnis wird wohl nie ganz auszuräumen sein: Viele haben nach wie vor das romantische Bild des von der Muse geküssten Künstlers. Dass dahinter auch viel Disziplin und Arbeit steckt, passt nicht in dieses Bild.

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