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05.12.2017 von Simon Rindlisbacher

Mit Transparenz zu Gleichheit

Lohntransparenz soll zu mehr Lohngleichheit zwischen Frauen und Männern führen. Funktioniert das tatsächlich? Antworten gibt das Beispiel der Alternativen Bank Schweiz.

Artikel in Thema Transparenz

Der Unterschied ist frappant: Männer, die eine höhere Fachschule abgeschlossen haben, verdienen im Durchschnitt 18 Prozent mehr als Frauen mit der gleichen Ausbildung. Dies bei gleicher Erfahrung, gleicher Leistung, gleicher Funktion und gleichem Alter. Und das im Jahr 2016. Zu diesem Schluss kommt eine Erhebung des Verbands der Absolventen höherer Fachschulen (Odec). Sie ist nur die aktuellste von vielen Studien, die seit Jahren immer wieder aufzeigen, dass Frauen nach wie vor weniger verdienen als Männer. Dies obwohl in der Bundesverfassung seit 1981 der Grundsatz «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» festgeschrieben ist. Wenn es um die Frage geht, wie diese Differenz überwunden werden kann, wird regelmässig Lohntransparenz ins Spiel gebracht. Beispielsweise verlangt eine aktuelle Motion der Baselbieter Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer, Unternehmen per Gesetz zur Lohntransparenz zu verpflichten. Denn so sei das Prinzip der Lohngerechtigkeit in der Privatwirtschaft leichter durchzusetzen. Was Leutenegger Oberholzer will, macht die Alternative Bank Schweiz (ABS) seit ihrer Gründung: Sie setzt auf Lohntransparenz und veröffentlicht im Betrieb die individuellen Löhne der Mitarbeitenden. Aber kann Lohntransparenz tatsächlich zu mehr Lohngerechtigkeit führen?

Transparenz ist nicht gleich Transparenz

Dass Lohntransparenz mehr Gerechtigkeit bringt, davon ist Anja Derungs, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich, überzeugt: «Es gibt kaum einen wirksameren Hebel für Lohngleichheit.» Aber was genau muss offengelegt werden und wem gegenüber? Dorothea Brunner, Dozentin für Human Capital Management an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, unterscheidet drei Arten von Lohntransparenz: Bei der summarischen Transparenz werden Löhne zusammenfassend veröffentlicht, beispielsweise wenn ein Unternehmen die Durchschnittslöhne der Geschlechter pro Funktion publiziert. Summarische Transparenz herrscht auch dann, wenn die durchschnittlichen Löhne verschiedener Berufsgruppen oder Branchen bekannt sind. Solche Daten sind die Grundlage von Lohnvergleichs-Tools wie «Salarium» des Bundes.
Individuelle Lohntransparenz hingegen bedeutet, dass einzelne Löhne veröffentlicht werden – innerhalb eines Unternehmens oder auch gegen aussen. Individuelle Transparenz wird auch dann geschaffen, wenn ein Unternehmen in einem Stelleninserat die Lohnspanne veröffentlicht. Lohnsystemtransparenz herrscht schliesslich, wenn offengelegt ist, wie ein einzelner Lohn genau bestimmt wird.

Offenlegung wirkt

Folgt man Dorothea Brunner, dann bringen alle Arten der Transparenz mehr Lohngerechtigkeit, solange sie die Diskussion zum Thema Lohn begünstigen. Denn: «Jede Diskussion über Lohntransparenz bringt uns der Gerechtigkeit etwas näher.» Anja Derungs hebt zunächst die individuelle Lohntransparenz hervor: Wenn die einzelnen Löhne innerhalb eines Unternehmens öffentlich seien, könne jede und jeder überprüfen, ob Frauen und Männer den gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit erhielten. Zudem sei die Lohnsystemtransparenz wichtig; denn so könnten die Angestellten die Höhe des eigenen Lohnes besser nachvollziehen und seien besser informiert. «So kann das Thema versachlicht werden», sagt Anja Derungs.
Für Dorothea Brunner ist ein transparentes Lohnsystem eine Bedingung für die individuelle Lohntransparenz. Wenn die einzelnen Löhne zwar öffentlich, aber nicht nachvollziehbar sind, seien Unstimmigkeiten in einem Team vorprogrammiert. Sie kommt deshalb zum Schluss: «Bevor nach aussen gekehrt wird, muss innen aufgeräumt werden!»

Mehrjähriger Lernprozess bei der ABS

Dass dies tatsächlich der Fall ist, beweist die Geschichte der ABS. Die Bank legt nicht nur seit ihrer Gründung die individuellen Löhne innerhalb des Unternehmens offen. Sie hat sich zudem von Anfang an zu nachvollziehbaren Löhnen verpflichtet. Diesem Anspruch wurde die ABS bis 2003 aber nur bedingt gerecht: So berichtet Roswitha Kick, die während fünfzehn Jahren die Fachstelle Personal der ABS leitete, dass zu Beginn alle fast gleich viel verdient hätten. Mit zunehmender Grösse des Unternehmens seien die Löhne immer unterschiedlicher geworden. Jedes Jahr, wenn die Lohnliste veröffentlicht wurde, sei sie genau studiert worden: «An der Bürositzung im Pausenraum wurde dann gefragt: Wieso verdient dieser mehr als jene? Die Begründung der Geschäftsleitung war nicht immer für alle nachvollziehbar und hat bisweilen auch Entrüstung ausgelöst.» Es wurde klar, dass die Bank ein System brauchte, das eine möglichst gerechte und vor allem auch nachvollziehbare Verteilung der Löhne sichern sollte. 2003 führte die ABS das Lohnsystem Abakaba ein, das von Lohngleichheitsexpertinnen und -experten im Auftrag des Gleichstellungsbüros der Bundesverwaltung entwickelt worden war. Die individuelle Lohntransparenz führte bei der ABS also zu einem System, das für eine möglichst gerechte Verteilung von Löhnen sorgen soll.

Unverkrampfter über Löhne reden

Ist damit bei der ABS die Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern gegeben? «Ja, denn das Lohnsystem ist geschlechtsneutral angelegt und wird auch so angewendet», sagt Tobias Schnell, der bei der Bank seit diesem Jahr die Fachstelle Personal leitet. «Insgesamt hat die Bank rund dreissig Funktionen definiert. Für jede davon ist ein Lohn festgelegt, ausgehend von der intellektuellen, psychosozialen und physischen Belastung sowie der Verantwortung, die eine Funktion mit sich bringt. Die Funktionen werden auch untereinander abgeglichen, damit für gleichwertige Arbeiten möglichst der gleiche Lohn bezahlt wird. Wenn es um die Einführung und den Abgleich neuer Funktionen gehe, seien jeweils auch die Entwickler von Abakaba dabei, erklärt Tobias Schnell: «Das gibt uns Sicherheit in Bezug auf die Lohngleichheit.» Neben der Funktion bestimmen die Ausbildung einer Person, ihr Alter und ihre fachbezogene Berufserfahrung eine Rolle; ein kleiner Anteil des Lohnes hängt von der Leistung der Mitarbeitenden ab.
Heutzutage wird die Lohnliste in der ABS einmal pro Jahr auf den neusten Stand gebracht und im Intranet allen Mitarbeitenden zugänglich gemacht. Zusätzlich werden die Löhne der Geschäftsleitung und des Verwaltungsrates sowie der höchste und der tiefste Monatslohn im Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht. «Die Lohnliste gibt allen die Gelegenheit, das System zu überprüfen, und stützt damit dessen Glaubwürdigkeit», sagt Tobias Schnell. Die Mitarbeitenden seien nicht gezwungen, dem Lohnsystem blind zu vertrauen.
Und so gibt es trotz Lohnsystemtransparenz auch bei der ABS immer wieder Diskussionen über die Höhe der Löhne. Im Vergleich zu anderen Unternehmen seien die Diskussionen nicht unbedingt sachlicher, sagt Tobias Schnell. «Aber hier wird unverkrampfter über Lohn geredet.» Wenn jemand mit seinem Lohn nicht zufrieden sei, könne sie oder er beantragen, dass er überprüft werde. Jede und jeder könne sich damit an seine Vorgesetzte oder seinen Vorgesetzten wenden. Und es gebe auch den Ausschuss der Personalvereinigung, der individuellen Lohnanliegen nachgehen könne.

Vorbildrolle der ABS

Die ABS scheint also vieles richtig zu machen. Anja Derungs meint dazu: «Die ABS ist ein tolles Vorbild!» Könnte die ABS noch mehr machen, damit sich auch ausserhalb der Bank mehr bewegt in Sachen Lohntransparenz und -gerechtigkeit? «Sinnvoll wäre sicher die Veröffentlichung von Logib-Ergebnissen oder ähnlichen Analyseinstrumenten», sagt Anja Derungs. Mit Logib, das vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung für Frau und Mann gratis angeboten wird, können Firmen prüfen, ob bei ihnen Lohngleichheit herrscht. Wichtig sei zudem, so Anja Derungs weiter, dass die ABS über ihr System der Lohntransparenz berichte und so Nachahmer finde.
Dorothea Brunner schlägt zudem vor, die Lohnspannen in den Stelleninseraten zu veröffentlichen. Das sieht sie als Ansporn für andere Firmen, es der ABS gleichzutun: «Irgendwer muss damit anfangen.» Sie nimmt an, dass dieser Schritt bei der ABS keinen Einfluss auf die Löhne hätte. Aber bei Firmen ohne Lohnsystem könne er verhindern, dass Frauen für die ausgeschriebene Stelle einen tieferen Lohn erhalten als Männer. Zumindest wenn die Lohnspanne nicht zu weit gewählt werde.
Beide Ideen findet Tobias Schnell von der ABS prüfenswert. «Dass wir einmal eine Logib-Analyse durchführen, kann ich mir gut vorstellen», sagt er. Die Resultate einer solchen Analyse wären nicht nur ein Beitrag an die gesellschaftliche Diskussion rund um Lohngerechtigkeit. Sie würden der ABS auch zeigen, ob das System wie angenommen funktioniert und tatsächlich für gleiche Löhne für Frauen und Männer sorge. Tobias Schnell meint dazu: «Eine böse Überraschung erwarte ich natürlich nicht.»

Foto: Wie viel verdienst du? Mitarbeitende der ABS legen ihren Brutto-Lohn offen. Die Löhne für Teilzeit-Pensen sind hochgerechnet auf 100-Prozent.

Hinten, von links:
Georg Sieber, Beratungsunterstützung Finanzieren, 10 Jahre bei der ABS 
Sarah Eggo, Projektleiterin Marketing & Kommunikation, 1 Jahr bei der ABS 
Michael Diaz, Leiter Anlegen, Mitglieder der Geschäftsleitung, 5 Jahre bei der ABS 
Simon Rindlisbacher, Projektleiter Marketing & Kommunikation, 7 Jahre bei der ABS 
Karin Roth, Sachbearbeiterin Vorsorge, 2 Jahre bei der ABS 

Vorne, von links:
Lutz Deibler, Leiter Unternehmensanalyse, 10 Jahre bei der ABS 
Michel Wyss, Beratungsteam, 2 Jahre bei der ABS

Zeig deinen Lohn!

Lohntransparenz ist ein effizienter Weg, um Lohndiskriminierung zu verhindern. Davon sind die Gewerkschaften aus Zürich und Schaffhausen überzeugt.
«Erst wenn wir offen über unseren Lohn reden, wissen wir nämlich, ob unser Lohn im Vergleich zu dem unserer Kolleginnen und Kollegen fair und angemessen ist.»

Die Gewerkschaften haben deshalb zeigdeinenlohn.ch lanciert. Auf der Online-Plattform sind alle eingeladen, den eigenen Lohn offenzulegen und so das
Lohntabu zu brechen. 

Text: Simon Rindlisbacher

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