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15.03.2023 von Esther Banz

«Oft kommt kein einziges Brett aus der Schweiz»

Der Holzbau boomt und gilt sogar als Verbündeter in der Bewältigung der Klimakrise. Aber das meiste in der Schweiz verbaute Holz stammt aus unbekannten Wäldern im Ausland. Was bedeutet das?

Artikel in Thema Holz und Wald
Illustration: Claudine Etter

Seit 2021 hat das jurassische Porrentruy eine moderne, erweiterte Eishalle – gebaut aus Holz, das aus den Wäldern der Region stammt. Neben Buchen und Fichten wurden auch Eschen verwendet, weil dieses Holz wechselnde Feuchtigkeit – wie es sie im Eisfeld-Bereich gibt – gut verträgt. Der Vorschlag der Holzbauingenieure begeisterte im lokalen Sägereibetrieb, denn dort wusste man: Die Eschen sterben – ihr Holz zu verbauen macht auch deshalb Sinn. 650 Kubikmeter einheimisches Fichten-, Buchen- und Eschenholz wurden schliesslich im Eisstadion eingesetzt, es gilt inzwischen als Leuchtturmprojekt. Weitere grosse Gebäude mit lokalem Holz sind in der Region seither entstanden. Es könnten noch etliche mehr sein: «Im ganzen Jura beträgt der Holzzuwuchs jedes Jahr rund 200'000 Kubikmeter», erzählt Didier Adette von Proforêt, dem gemeinsamen Forstbetrieb der Waldbesitzer in der Ajoie. Auch insgesamt wächst in der Schweiz mehr Holz nach als geerntet wird.

Und der Holzbau boomt. Bei öffentlichen Gebäuden wuchs die verbaute Holzmenge zwischen 2012 und 2018 um mehr als 70 Prozent, rund ein Viertel der neuen Schulhäuser sind aus Holz gebaut, Tendenz zunehmend. Das hat auch mit technischen Verbesserungen zu tun: Holz ist beim Brandschutz inzwischen sehr sicher und hartes Buchenholz ermöglicht zusammen mit neuen Konstruktionsweisen eine so hohe Tragfähigkeit, wie sie früher nur Beton, kombiniert mit Stahl, erreichte.

 

Schlechtere Umweltbilanz bei Importholz

Holz gilt vor allem auch als umweltfreundlicher Baustoff, weil es im Gegensatz zu anderen Materialien nachwächst. Ausserdem bindet es CO₂ – rund eine Tonne pro Kubikmeter –, während bei der Betonherstellung gigantische CO₂-Emissionen entstehen. Stefan Zöllig, Gründer und Mitinhaber des Holzbauingenieurunternehmens Timbatec, ist deshalb überzeugt: Das Beste, was man mit Holz tun könne, sei es nachhaltig zu ernten und zu verbauen, «jedenfalls ist das viel sinnvoller, als es zu verbrennen». In der Tat setzt man durch die Verbrennung das CO₂ frei, das in vorherigen Jahrzehnten im Holz eingelagert wurde. Beim Bauen hingegen bleibt das im Stamm gespeicherte Klimagas gebunden, solange das Haus stehen bleiben darf. Das macht angesichts der kurzen Zeit, in der die Emissionen auf netto null sinken müssen, einen grossen Unterschied. 

Die Holzbau-Branche suggeriert auch gerne, Bauholz sei heimisch, aber 70 Prozent des hierzulande verbauten Holzes stammen aus dem Ausland: das meiste aus Deutschland, gefolgt von Österreich, Frankreich und Italien; auch Polen gehört zu den Top-Ten-Herkunftsländern. Ein Problem ist dabei: Die Treibhausgasbilanz verschlechtert sich. Verarbeitetes Holz aus Deutschland hat beispielsweise eine über 50 Prozent schlechtere Energiebilanz als jenes aus der Schweiz, wegen des Transports und des schmutzigeren Energiemixes. Kommt das Holz aus Ungarn, verursacht dies sogar 80 Prozent mehr Treibhausgase – die Berechnungen stammen vom Schweizer Forschungsunternehmen Treeze.

Selten interessiere sich jemand dafür, woher das Holz stamme, sagt Ingenieur Stefan Zöllig: «Wenn wir’s nicht richtig ausschreiben oder die Offerten nicht genau kontrollieren, kommt oft kein einziges Brett aus der Schweiz.» Ein Grund dafür ist, dass es in der Schweiz an Verarbeitungsbetrieben mangelt. Die hiesige Waldwirtschaft war jahrzehntelang ein Verlustgeschäft. Während etwa in Österreich riesige Holzkonzerne entstanden sind, gerieten die kleineren Schweizer Verarbeiter immer mehr unter Druck. Laut Stefan Zöllig liegt es aber vor allem am Preis: «Importholz ist zehn bis zwölf Prozent günstiger als einheimisches.»

 

Bedrohte Widerstandskraft der Wälder

Während Holzbau als Mittel im Kampf gegen die Klimakrise gesehen wird, geht gerne vergessen: Wälder sind weit mehr als Baumstämme, sie sind Lebensräume unzähliger Pflanzen und Tiere, auch von bedrohten Insekten. Ausserdem ist im Waldboden mehr CO₂ gespeichert als in der überirdischen Biomasse. Neben zunehmender Trockenheit und Hitze könne auch die Forstwirtschaft die Wälder belasten und ihre Widerstandskraft zusätzlich strapazieren, sagt Pierre Ibisch, Waldökologe und Professor für Naturschutz an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung im deutschen Eberswalde. «Problematisch ist nicht nur der Kahlschlag, sondern auch die zunehmende Zerschneidung der Wälder mit Forstwegen, um in schwieriger zugängliche Waldbereiche vorzudringen, und die Bodenverdichtung durch die schweren Forstmaschinen.» Oder auch, dass ganze Waldstücke nach einem Käferbefall oder Sturm quasi leergeräumt würden, wodurch man auch die Wasserspeicherfunktion des Waldes stark beschädige. «Im schlimmsten Fall heizen sich die Flächen so sehr auf und trocknen so stark aus, dass eine Wiederaufforstung nicht gelingt.»

Nicht nur die Nachfrage nach Bauholz bedrängt die Wälder: Auch in Europa werden sogar letzte Urwälder und langsam wachsende Wälder im Norden für immer mehr industrielle Verwendungen ausgebeutet – für Papiertaschentücher, Verpackungskarton und Kleider ebenso wie für Brennmaterialien und sogar für Treibstoff.

 

Intransparente Lieferketten und illegaler Holzschlag

Ein weiteres Problem importierten Holzes: Seine Herkunft ist eine Black Box, die Lieferketten sind intransparent. Das zeigen unter anderem die Kontrollen der Deklarationen. In der Schweiz müssen Holzanbieter das Herkunftsland und die Holzart angeben. Doch Holzbauunternehmen, besonders kleinere Zimmereien, halten sich oft nicht daran. Bei ihnen hat die Kontrollstelle des Bundes eine «hohe Unkenntnis der Vorschriften festgestellt». Nur rund jede sechste Deklaration war korrekt. Konsequenzen hat das kaum. Fehlbare Betriebe werden lediglich aufgefordert, die Deklaration nachzureichen.

Vor allem in osteuropäischen Ländern wird auch illegal Holz geschlagen – was ökologisch, sozial und wirtschaftlich besonders schädlich ist. Wieviel davon hierzulande verbaut wird, weiss niemand. Die Einfuhr von illegal geschlagenem Holz ist in der Schweiz erst seit Anfang 2022 explizit verboten. Die neue Holzhandelsverordnung (HHV) orientiert sich an der «Timber Regulation» der EU (EUTR). Wer Holz einführt, muss eine Sorgfaltsprüfung vornehmen. Bei Ländern, die als korruptionsanfällig gelten oder aus denen es Hinweise auf illegalen Holzschlag gibt, muss belegt werden, dass das Holz nach den gesetzlichen Bestimmungen des Herkunftslands geschlagen wurde (was je nach Land aber keine Garantie gegen Kahlschlag ist.) Der Bund will die Einhaltung der HHV mittels Stichproben sicherstellen, hat aber für diese Kontrollen nur 200 Stellenprozente zur Verfügung. Ob die HHV greift, ist mit Blick auf die Erfahrungen im Ausland zudem fraglich. Denn die EU-Verordnung EUTR hat laut verschiedenen NGO ihr Ziel verfehlt, so sagt beispielsweise der britische Holzhandelsexperte Simon Counsell: «Der illegale Holzhandel konnte kaum eingedämmt werden. Und die Holzproduktion ist insgesamt nicht nachhaltiger geworden. Die Verordnung wird weithin als unwirksam angesehen.»

 

Rückverfolgung auch bei FSC-Holz schwierig

Wer mit Schweizer Holz baut, kann davon ausgehen, dass es aus legaler Quelle und nachhaltigem Schlag stammt, denn die Schweiz hat ein vergleichsweise strenges Waldgesetz. Nicht nur ist Kahlschlag verboten – es darf auch nur die zuwachsende Holzmenge geerntet werden. Und die Transportwege sind kurz. Gerade die öffentliche Hand, die zunehmend Schulhäuser und andere grosse Gebäude aus Holz baut, ginge also mit gutem Vorbild voran, würde man meinen. Aber dem ist nicht immer so, die Eishalle in Porrentruy ist die Ausnahme, nicht die Regel. Denn Gemeinden, Kantone und Bund müssen sich bei der Beschaffung von Baumaterialien an die Regeln der Welthandelsorganisation halten – diese erschweren die Bevorzugung lokaler Anbieter. Ganz neu ist im öffentlichen Beschaffungsrecht zwar die Nachhaltigkeit gegenüber dem Preis höher gewichtet – ob das zur Verwendung von mehr einheimischem Holz führen wird, ist aber noch nicht absehbar.

Wenn die öffentliche Hand mit Holz baut, das nicht aus der Schweiz stammt, muss dieses jetzt immerhin das FSC- oder PEFC-Label ausweisen. Die beiden Nachhaltigkeitslabels geniessen hohes Vertrauen. Aber je nach Herkunft sind die Unterschiede in der Art der Forstwirtschaft erheblich – denn sowohl PEFC als auch das strengere FSC richtet sich nach den Forstgesetzen im jeweiligen Land. Auch die Rückverfolgung ist schwierig: Olin Bartlomé von FSC Schweiz bestätigt, dass es im jetzigen System kaum möglich ist, die Herkunft von Holzbauteilen herauszufinden: «In Brettern und Holzwerkstoffplatten ist Holz verschiedenster Stämme verarbeitet.» FSC befürworte in jedem Fall die regionale Nutzung von Holz. Allerdings müsse man auch beim Label «Schweizer Holz» genauer hinschauen. Tatsächlich dürfen Bauteile, die damit ausgezeichnet sind, zu 20 Prozent aus ausländischem Holz bestehen, Gebäude sogar zu 40 Prozent.

 

Bauen mit einheimischem Holz braucht langfristige Planung

Eine Rückverfolgung bis zum Ursprung kann auch beim in der Schweiz so häufig verwendeten deutschen Holz für Überraschungen sorgen. Denn die dortige Waldwirtschaft scheint längst nicht so nachhaltig, wie Baubranche und Bauherren der öffentlichen Hand glauben. Laut der Forstexpertin Susanne Winter vom WWF Deutschland sind die Wälder übernutzt. Schutzziele würden nicht erfüllt, und der für die Biodiversität wichtige Anteil von alten Laubwäldern sei viel zu gering. Ähnliche Kritik gibt es aus Österreich.

Dass ausländisches Holz verwendet wird, liegt manchmal auch ganz banal an der Planung. Man müsse früh damit anfangen, sagt der für die Eishalle in Porrentruy zuständige Holzbauingenieur Johann Maître: «Nadelholz können wir kurz nach dem Schneiden trocknen und kleben. Laubholz aber – ob von der Buche oder der Esche – muss erstmal sechs Monate trocknen.» Insgesamt brauche es ein Jahr Vorlaufzeit. Unterstützung erhalten jene, die sich für Schweizer Holz stark machen, vom Bund. Der schrieb unlängst zu seiner Ressourcenpolitik Holz: «Der Bund möchte, dass mehr Holz aus dem Schweizer Wald zum Einsatz kommt.»


Dieser Artikel beruht auf einem längeren Text, der am 26.1.2023 in der WOZ erschienen ist. Er wurde unterstützt von JournaFONDS und dem Recherchierfonds des Fördervereins ProWOZ.

Kommentar der ABS

Die Frage, wie nachhaltig Holz als Baustoff tatsächlich ist, beschäftigt uns bei der Vergabe von Krediten für den Neubau oder die Sanierung von Gebäuden. Für die Analyse der Nachhaltigkeit und Bauökologie eines Gebäudes setzt die ABS ein eigens entwickeltes Immobilienrating ein. Grundsätzlich wird Holz als Baustoff positiv bewertet, weil es ein nachwachsender Rohstoff ist, der CO2 bindet und gute bauliche Eigenschaften, z. B. bzgl. Dämmung und Langlebigkeit hat.

Schwierig ist hingegen die Bewertung der Lieferketten des verwendeten Holzes. Zwar fragt die ABS bei Bauprojekten mit grossem Holzanteil nach der Herkunft des Holzes, favorisiert die Verwendung von Schweizer Holz und lehnt die Verwendung von Tropenholz ab. Dies geschieht jedoch in dem Bewusstsein, dass, mit Ausnahme von Schweizer Holz, europäische Herkunft nichts über die Nachhaltigkeit des Holzes aussagt. Auch Labels wie FSC bieten keine verlässliche Orientierung.

Somit bliebe aktuell nur die Möglichkeit, bei Kreditvergaben ausschliesslich Schweizer Holz als Baumaterial zu akzeptieren. Dieser Ansatz wäre für die ABS aber zu extrem. Für uns zählt der Gesamteindruck und das differenzierte Abwägen vieler verschiedener Faktoren: Ist der Kunde oder die Kundin grundsätzlich sensibel gegenüber ökologischen und sozialen Themen und um positive Lösungsansätze bemüht? Was ist die Nutzungsabsicht für das Gebäude? Gibt es wichtige soziale Themen wie das Schaffen von günstigem Wohnraum oder gemeinschaftlichen Wohnformen? Überzeugt das Projekt durch umweltfreundliche Mobilitätskonzepte oder vorbildliche Energieeffizienz?

Grosses Potenzial für die Baubranche sieht die ABS in der Kreislaufwirtschaft, die den Ressourcenbedarf insgesamt stark reduziert: lieber sanieren und umnutzen statt neu bauen und möglichst viel Materialien oder ganze Bauteile wieder verwenden.

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