397
13.09.2023 von Sylvie Ulmann

Reparieren im Café

Plötzlich sind sie überall in der Westschweiz: Repair-Cafés. Die Besucherinnen und Besucher kommen nicht nur, um einen Kaffee zu geniessen, sondern auch, um ein ­Bügeleisen oder einen Toaster reparieren zu lassen – und natürlich, um sich auszutauschen.

Artikel in Thema Kreislaufwirtschaft

Illustration: Claudine Etter

Von Genf bis Delémont haben sich in den letzten zehn Jahren die Repair-Cafés vermehrt wie Topinambur in einem Biogarten. Während einige nur ein paarmal im Jahr stattfinden, sind andere zu einem monatlichen Rhythmus übergegangen. Ihr gemeinsamer Nenner: Sie bringen eine Handvoll Heimwerkerfans mit Menschen zusammen, die Gegenstände aller Art reparieren lassen wollen. Nähmaschinen, Staubsauger, Bügeleisen, Mobiltelefone, Haartrockner, Plattenspieler, Rasenmäher, Hosen, Vintage-Hammondorgeln – all diese Gegenstände, ob kaputt oder einfach nur ein wenig mürbe, warten darauf, dass sich eine kundige Hand ihrer annimmt, während ihre Besitzerinnen und Besitzer eine Tasse Arabica-Kaffee geniessen. Dieser Service ist fast kostenlos, die Kundinnen und Kunden bezahlen nur für die Ersatzteile. Organisation und Reparatur basieren auf Freiwilligenarbeit.


Explosionsartiger Anstieg nach der Pandemie

«In der Schweiz wurden die ersten Repair-Cafés vor etwa zehn Jahren gegründet», erklärt Sylvie André, Marketing- und Kommunikationsverantwortliche bei der Fédération romande des consommateurs (FRC). Der Verein, der sich gegen die Verschwendung von Ressourcen und die vorzeitige Alterung von Gegenständen (sog. geplante Obsoleszenz) einsetzt, ist der Dachverband des Netzwerks der Repair-Cafés auf der französischsprachigen Seite der Saane. Der Verband ermöglicht den Or­ganisatorinnen und Organisatoren der Repair-Cafés, Erfahrungen auszutauschen, und erhöht deren Sicht­barkeit. «Wir kündigen die Repair-Cafés auf einer speziellen Seite unserer Website an. Und wir bieten ein Start­erpaket für die Organisation sowie eine Haftpflichtversicherung an», sagt Sylvie André. Nach der Pandemie sei die Zahl der Repair-Cafés explosionsartig angestiegen. «Inzwischen gibt es in der gesamten Westschweiz rund hundert solcher Reparatur-Workshops.» Diese Entwicklung sei kein Zufall, ist Sylvie André überzeugt: «Der soziale Aspekt hat bestimmt eine Rolle gespielt, die Menschen suchen nach den Covid-Einschränkungen wieder den persönlichen Kontakt.» 


Ohne Geduld und Mithilfe geht es nicht

Um einen unfairen Wettbewerb mit etablierten Handwerkerinnen und Handwerkern zu vermeiden, sortieren die Freiwilligen die Waren zunächst. «Personen, die kommen, um den Bildschirm ihres Smartphones auszutauschen oder ihre Hose zu säumen, verweisen wir direkt an entsprechende Profis», sagt August Hangartner, Präsident der lokalen Nachhaltigkeits-Initiative Echallens 21 und Gründungsmitglied des dort beheimateten Repair-Cafés. Wer etwas «Reparierwürdiges» dabeihat, wartet dann bei einem Kaffee, dass eine Reparateurin oder ein Reparateur verfügbar ist. Einige Cafés haben Massnahmen ergriffen, um die Wartezeit zu verkürzen: «Wir bemühen uns, dass bis zur Demontage und Fehlerdiagnose nicht mehr als eine halbe Stunde vergeht, mitunter sind unsere Freiwilligen da auch etwas übermotiviert», schmunzelt Sylvie Cortat Frey vom jurassischen Repair-Café. Als dieses vor zehn Jahren zum ersten Mal stattfand, wurde es sogleich Opfer seines Erfolgs: Auf fünf Reparateure kamen rund dreissig Besucherinnen und Besucher!
Geduld und persönliches Engagement gehören beim Repair-Café dazu, denn egal, wie lang die Schlange ist, man kann den Gegenstand nicht einfach abgeben und wieder abholen, wenn er geflickt ist. «Wir weigern uns, in Abwesenheit der Kundinnen und Kunden zu arbeiten. Sie müssen da sein, um zu helfen», erklärt Olivier Bernhard, der das Repair-Café in Genf betreut. Dabei braucht man nicht unbedingt die Königin oder der König der Heimwerker zu sein: Es reicht oft, dem Reparateur zur Hand zu gehen, indem man eine Schraube anzieht oder die Haube der Orangenpresse festhält. Manchmal geht es auch um die Entscheidung, ob es sich lohnt, etwas zu reparieren – oder ob man sich auch mit einer halben Sache zufriedengeben kann. Beispielsweise, indem man einen Schalter nicht repariert, sondern ganz einfach entfernt. «Von den 328 Gegenständen, die von 280 Besucherinnen und Besuchern im Jahr 2022 an den 18 Tagen der Genfer Repair-Cafés mitgebracht wurden, wurden 49 Prozent vollständig und 4 Prozent teilweise repariert. Bei 16 Prozent wurde der Fehler identifiziert», erläutert Bernhard weiter. Haushaltsgeräte stehen in der Statistik mit 55 Prozent an erster Stelle. Sorgenkind Nummer eins: die Kaffeemaschine, die so oft vergessen wird zu entkalken. Auf den nächsten Plätzen folgen Haushaltselektronik, Spielzeug, Fahrräder und Textilien. 

 

« Reparaturen sind schwieriger geworden, vor allem weil die Materialien, aus denen die Gegenstände hergestellt ­werden, von immer schlechterer Qualität sind. »

Dragan Ivanovic, La Bonne Combine


Reparierbarkeit wird immer wichtiger
Abgesehen von den Erfolgszahlen haben die Repair-Cafés auch eine klare Botschaft: «Es ist nicht notwendig, alle sechs Monate ein neues Smartphone zu kaufen – der ständige Kauf von Neugeräten macht nicht unbedingt glücklicher», betont Marc Johannot, Sekretär des Repair-Cafés in Échallens und selbst Reparateur. In Zukunft werde «die Reparierbarkeit zu einem echten Auswahlkriterium» beim Kauf neuer Produkte, ist er überzeugt. Das glaubt auch Dragan Ivanovic, der seit 1994 in La Bonne Combine arbeitet. Seit Mitte der 1990er-Jahre erweckt diese Boutique in Lausanne eine Vielzahl von Gegenständen, darunter auch Haushaltsgeräte, zu neuem Leben und hat sich dem Kampf gegen die geplante Obsoleszenz verschrieben. Doch man müsse den Tatsachen ins Auge sehen, sagt Ivanovic: «Reparaturen sind schwieriger geworden, vor allem weil die Materialien, aus denen die Gegenstände hergestellt werden, von immer schlechterer Qualität sind. Klebstoffe sind nicht hitzebeständig, Metall verbiegt sich, Plastik bricht. Auch gibt es für viele Geräte keine Ersatzteile, und überhaupt muss man sie erst einmal auseinandernehmen können.» Und schliesslich seien die Preise so stark gesunken, dass es sich kaum noch lohne, ein Gerät überhaupt auseinanderzunehmen, geschweige denn mit der Reparatur zu beginnen. Auch in dieser Hinsicht haben Repair-Cafés eine erzieherische Mission: Wenn die Kundinnen und Kunden beim Zerlegen und bei der Fehlersuche dabei sind, verstehen sie, dass billige Gegenstände – solche mit gegossenen oder unzerlegbaren Komponenten – eigentlich immer noch zu teuer sind, weil man sie nach Ablauf der Garantie nur noch wegschmeissen kann. Haben sie das erst einmal vor Augen geführt bekommen, entscheiden sie sich beim nächsten Kauf vielleicht für einen qualitativ hochwertigeren Artikel oder greifen sogar auf eine Alternative wie das Ausleihen von Geräten zurück.

P.S. Nicht nur in der Romandie, auch in der Deutschschweiz und im Tessin sind in den letzten Jahren zahlreiche neue Repair-Cafés entstanden; einen Überblick über die gesamtschweizerische Reparatur-Bewegung bietet die Seite: repair-cafe.ch



Kollaboratives Handwerk

In Kreisen der Sozial- und Solidarwirtschaft werden neue ­Wege gesucht, um «Reparatur» und «Rentabilität» in Einklang zu bringen. Eine Möglichkeit sind sogenannte «ressourceries» – etwa übersetzbar mit «Ressourcensammelstellen». Die Idee ­dahinter? Materialien und Gegenständen ein zweites Leben ­geben und ihre Nutzung vergemeinschaften. «Eine Än­derung unseres Verhaltens setzt eine Änderung unserer Denkweise ­voraus», fasst Antonin Calderon, Vorstandsmitglied von La Manufacture Collaborative (Maco) in Genf, zusammen. Der Verein betreibt seit 2019 ein Gebäude mit 1200  Quadrat­meter Fläche auf drei Stockwerken. Es befindet sich im Viertel Châtelaine und vereint verschiedene Angebote unter einem Dach: eine Werkstatt, in der unter der Leitung von Freiwilligen Holz, ­Metall und Fahr­räder bearbeitet werden; Le Grand ­Atelier, wo repariert und konstruiert wird; La Manivelle, eine Genossenschaft, die Werkzeuge verleiht; Matériuum, die Secondhand-Materialien an­bietet, sowie das Fablab Onl’Fait und Sipy, ein Verein zum Austausch von Kleidern und Accessoires. Diese sich ergänzenden Räume bilden ein zusammenhängendes Ökosystem, zu dem man gegen eine geringe Gebühr Zugang ­erhält. Diese wird je nach Angebot pro Stunde, pro Monat oder pro Jahr bezahlt. Antonin Calderon erläutert: «Die Zahl der ­Ausleiherinnen und Ausleiher muss gross genug sein, damit sich der Preis für das Abonnement lohnt und die Löhne des Personals bezahlt werden können.» Zwei weitere Standorte dieser Art sind am Ende des Genfersees in Plan-les-Ouates und im künftigen Stadtteil Praille-Acacias-Vernets geplant. Für Calderon ist die Schaffung von solchen Reparaturmöglichkeiten ­entscheidend, damit sich auch die Wirtschaft weiterentwickelt: «Diese Orte können Impuls­geber sein. Nach und nach werden sich die Konsumentinnen und Konsumenten von Gegenständen abwenden, die nicht für die Reparatur geeignet sind, und die Unternehmen werden sich an diese neue Nachfrage anpassen müssen.» adresses.frc.ch

Artikel ausdrucken
Verwandte Artikel

« Wir nennen es ‹ Ästhetik der Freiheit › »

Das Designbüro Mifactori aus ­Berlin entwickelt Produkte, ­Methoden, Kampagnen und ­Bildung für eine nachhaltige ­Kreislaufwirtschaft. Warum wir einen ganz neuen Design­ansatz brauchen und was das alles mit Spielzeug zu tun hat, erläutert der Initiator Lars Zimmermann.

13.09.2023 von Roland Fischer

«Wir sollten Geräte als wandlungsfähige Plattformen verstehen»

Die «open circular economy»-Bewegung hat eine radikale Vision von Kreislaufwirtschaft: Offene Systeme, wie man sie von der Software-Entwicklung kennt, müssten auch für Hardware Vorbild sein, erklärt Maximilian Voigt von der Open Knowledge Foundation. Jedes Gerät wäre dann modular, und nichts was noch funktioniert, müsste weggeworfen werden.

13.09.2023 von Roland Fischer
Artikel nur online