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18.03.2020 von Robert Fluder

Vermögende profitieren besonders von Erbschaften

Erbschaften und Schenkungen sind in der Schweiz ausgesprochen schief verteilt: Privilegierte Gesellschaftsschichten erhalten einen überproportional grossen Anteil der vererbten Vermögen. Eine stärkere Besteuerung von Erbschaften könnte diese Ungleichheit mildern und die Chancengleichheit fördern.

Artikel in Thema Erben
Illustration: Claudine Etter

Erben bezeichnet die Übertragung von Werten, Fähigkeiten, Beziehungen und Reichtum von Generation zu Generation und betrifft somit nicht nur die Ausstattung mit finanziellen Ressourcen, sondern auch mit Human- und Sozialkapital. Bezogen auf das Erbgut bedeutet das etwa Vor- oder Nachteile für Begabung und Gesundheit. Übertragen werden aber auch Fertigkeiten, Wissen und soziale Netze. Dies führt zu unterschiedlichen Bildungs- und Berufschancen je nach Herkunft. So haben Kinder aus höheren Bildungsschichten eine wesentlich grössere Chance auf einen höheren Bildungsabschluss und eine erfolgreiche Berufskarriere. Im Folgenden fokussieren wir auf die Übertragung von finanziellen Ressourcen in Form von Erbschaften und Schenkungen. Wie sind die Chancen eine bestimmte Erbschafts- oder Schenkungssumme zu erhalten?

Piketty (2014) konnte mit Steuerdaten von 27 Ländern zeigen, dass die Bedeutung von Erbschaften seit den 1970er-Jahren deutlich zugenommen hat. Das gleiche gilt auch für die Schweiz (vgl. Brülhart 2019). Das Volumen von Erbschaften und Schenkungen schätzt Brülhart für 2011 auf 62 Mrd., was 17% des Volkseinkommens entspricht – mit steigender Tendenz. Insgesamt stammt gemäss Schätzungen rund die Hälfte des Vermögens aus einer Erbschaft oder Schenkung. 

Erbschaften und Schenkungen sind ausgesprochen schief verteilt. Anhand neuerer Daten aus dem SNF Projekt «Ungleichheit, Armutsrisiken und Wohlfahrstaat» der Universität Bern und der Berner Fachhochschule konnte aufgezeigt werden, dass vom Volumen der Erbschaften und Schenkungen über eine Periode von 5 Jahren im Kanton Bern die 10% mit den grössten Erbschaften/Schenkungen mehr als zwei Drittel (68%) erhalten. Dem obersten Prozent fallen gar 36% zu, während sich die untere Hälfte der Begünstigten mit nur 5% des gesamten Volumens begnügen muss :



Zudem profitieren vor allem Wohlhabende. So erhalten die Vermögensreichsten 10% mehr als die Hälfte (54%) der Erbschafts- und Schenkungssumme und das reichste Prozent fast ein Drittel (30%). Auch die Unterscheidung nach Einkommensgruppen zeigt, dass hauptsächlich gut Betuchte von grösseren Erbschaften profitieren: Die 10% Einkommensstärksten erhalten fast die Hälfte des gesamten Erbschaftsvolumens (48.1%), während die untere Einkommenshälfte nur mit 15% am gesamten Erbschaftskuchen teil hat:


Gegensatz zwischen Jung und Alt verschärft sich

Mit Erbschaften werden aber auch die Unterschiede der finanziellen Ressourcen zwischen Jung und Alt verschärft. So fällt der grosse Teil des vererbten und verschenkten Vermögens auf Personen im Alter von über 55 Jahren. Besonders häufig sind Erbschaften zwischen 55 und 75 Jahren (Jann & Fluder 2015):


Dadurch kommen Erbschaften einer Generation zugute, die gut gestellt ist und die Ressourcen weniger benötigt, während junge Familien oft in finanziell schwierigen Verhältnissen leben. Erbschaften kommen somit v.a. den bereits vermögenden Rentnern zugute und zementieren damit die politische und wirtschaftliche Macht dieser Gruppe.

Finanzielle Ressourcen werden hierdurch stärker durch Herkunft und weniger durch eigene Leistungen bestimmt. Damit verfestigt sich die bereits geringe Vermögensmobilität (vgl. Moser 2019). Mit der einseitigen Verteilung der Erbschaften und der Konzentration auf die Vermögendsten und Spitzeneinkommen entsteht eine Vermögensaristokratie. Dies widerspricht dem Grundprinzip einer meritokratischen Gesellschaft und kann die Motivation zu Leistung behindern.

Mit neuen Steuereinnahmen die Chancengleichheit fördern

Zudem erhöhen Erbschaften auch die Ungleichheit der Chancen. In der Regel werden durch Erbschaften dieselben Gruppen bevorteilt, die bereits bei den Bildungschancen und durch das vorhandene soziale Netz begünstigt sind. Durch Besteuerung könnten Erbschaften jedoch genutzt werden, um einen Ausgleich zu schaffen. Mit den Erträgen aus einer Erbschaftssteuer könnten benachteiligte Gruppen unterstützt und ein Ausgleich zwischen den jungen und älteren Generationen geschaffen werden. In der Schweiz wird dieses Steuersubstrat kaum genutzt. Die Erbschaftssteuern sind in den letzten Jahren gar reduziert worden. Heute wird der durchschnittliche Erbschaftsfranken noch mit 1.4 Rp besteuert (Brülhart 2019). Anhand der Steuerdaten des Kantons Bern haben wir die Wirkung einer Erbschaftssteuer nach US-Vorbild geschätzt. Dies würde pro Jahr rund 500 Mio. CHF einbringen. Aufgrund des wenig progressiven Steuersatzes würde sich die Verteilung der Erbschafts- und Schenkungssumme jedoch kaum ändern. Bei einem stark progressiven Steuersatz mit einer nur geringen Steuer im untern Bereich und einer hohen Besteuerung im oberen Bereich, nimmt das Steuersubstrat deutlich zu und die Verteilung der verbleibenden Erbschaften würde etwas ausgeglichen. Das betreffende Steuersubstrat könnte für bedürftige Familien und für die Förderung benachteiligter Kinder eingesetzt werden, um mehr Chancengerechtigkeit und einen Ausgleich zwischen der jungen und der älteren Generation zu schaffen.

Literatur

Brülhart Marius (2019): Erbschaften in der Schweiz: Entwicklung seit 1911 und Bedeutung für die Steuern. Social Change in Switzerland No 20.

Jann Ben, Fluder Robert (2015): Erbschaften und Schenkungen im Kanton Bern, Steuerjahre 2002 bis 2012. University of Bern Social Sciences Working Paper No 11.

Moser Peter (2019): Vermögensentwicklung und -mobilität. Eine Panelanalyse von Steuerdaten des Kantons Zürich 2006 – 2015. Statistik.info 2019/02.

Piketty Thomas (2014): Capital of the Twenty-first Century. Harvard University Press.

 

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