06.12.2021 von Daniel Bütler

Ackerbohnen und Lupinen statt Cervelat und Poulet

Vegetarische Nahrung boomt, doch die Schweizer Bäuerinnen und Bauern produzieren vor allem Fleisch. Aus Tradition, topografischen Gründen – und weil es vom Bund gefördert wird. Wie lässt sich das ändern?

Wirtschaft Umwelt

Lukas Weidmann ist der Landwirt der Zukunft. Auf seinem Hof in Schlieren (ZH) baut er Weizen, Hirse, Hafer, Lein und Soja an: Pflanzen für die menschliche Nahrung in Bioqualität. Mais oder Gerste für die Tiermast findet man auf seinen Äckern nicht. Das braucht er nicht, denn Tiere hat er keine. Der Verzicht auf Tierfutter ist aber auch eine Frage der Philosophie. «Ich versuche, nur noch menschliche Nahrung anzubauen», sagt der Mittdreissiger. Biobauer Weidmann kommt dem Ideal einer veganen Landwirtschaft nahe. Aus seiner Ernte entstehen unter anderem Tofu und Hummus. Für Letzteres pflanzt er seit Kurzem auch Kichererbsen an, die Grundlage des bei Veganerinnen so beliebten Aufstrichs. Der Biobauer sagt: «Ich kann gut leben von meinem Betrieb.» Die Nachfrage nach seinen Produkten sei hoch.

Tatsächlich ist pflanzenbasierte Nahrung immer gefragter. Nach Angaben der Organisation Swissveg ernähren sich rund fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung vegetarisch oder vegan. Schätzungen des Bundes liegen tiefer, doch klar scheint, dass der Fleischkonsum pro Kopf sinkt. Heute essen Schweizerinnen und Schweizer im Schnitt 48 Kilogramm pro Jahr, vor 30 Jahren waren es 64 Kilo. Und immer mehr verzichten öfter mal auf Fleisch – und greifen dafür im Verkaufsregal zu einem «Fleischersatzprodukt»: Burger aus pflanzlichen Rohstoffen, Planted Chicken, Gehacktes auf Getreidebasis oder Tofu. Bereits ist jeder sechste im Detailhandel verkaufte Burger ein vegetarischer. Der Fleischersatzmarkt wächst mit zweistelligen Raten. 2020 verkaufte der Detailhandel entsprechende Produkte im Wert von 117 Millionen Franken. Im Vergleich ist das aber wenig: Der Umsatz mit Fleisch betrug 5,4 Milliarden.

Fleischersatzmarkt wächst schnell

Biobauer Weidmann partizipiert auch am Fleischersatzmarkt. Doch er produziert in einer Nische. Seine Ernte wird in Bioläden und Reformhäusern an Konsumentinnen und Konsumenten verkauft, für die der Preis nicht das oberste Kriterium ist. Im grossen Massstab profitieren die Schweizer Bäuerinnen und Bauern bisher kaum vom wachsenden Fleischersatzmarkt. Praktisch alle pflanzlichen Rohstoffe, aus denen der Vegi-Convenience-Food produziert wird, würden aus dem Ausland importiert, hält eine Studie des Bundesamts für Landwirtschaft fest. Es gebe in der Schweiz kaum Verarbeitungsketten von der Pflanze bis zum fertigen Produkt. Ähnlich ist die Situation bei unverarbeiteten Produkten mit wertvollen Inhaltsstoffen, etwa Hülsenfrüchten, Hirse oder Hafer, die statt Fleisch oder als Teil einer ausgewogenen Ernährung gefragt sind. Deren Anbauflächen sind in der Schweiz bescheiden.

«Für Pflanzenfood besteht in der Schweiz riesiges Potenzial.»

Hummus aus Schweizer Pflanzen

Für Anik Thaler ist klar: «Wir müssen mehr pflanzliche Proteine konsumieren.» Die 23-jährige ETH-Agronomiestudentin hat ein Start-up gegründet, das Bio-Hummus herstellt. Hummus sei sehr gefragt, doch bei den herkömmlichen Produkten kämen alle Rohstoffe – der wichtigste sind Kichererbsen – aus dem Ausland. Das habe sie gestört. Also hat sie eine neue Mixtur entwickelt, die auf in der Schweiz angebauten Pflanzen basiert und beispielsweise Sesam durch Sonnenblumenkerne ersetzt. Von Biobauer Lukas Weidmann bezieht sie Kichererbsen. Hergestellt wird die Paste bei der Zürcher Metzgerei Angst. «Die haben genau die richtigen Maschinen», erzählt Anik Thaler mit einem Schmunzeln. Kaufen kann man ihren Schweizer Hummus in Bio- und Alnatura-Läden.

Für Pflanzenfood besteht in der Schweiz riesiges Potenzial. Denn heute werden weniger als 40 Prozent des pflanzlichen Essens im Inland erzeugt. Ganz anders beim Fleisch: Hier produzieren die Schweizer Bäuerinnen und Bauern satte 80 Prozent der Menge. Die Fleischproduktion beansprucht auch den Grossteil des Schweizer Ackerlandes. Auf 60 Prozent der Ackerfläche werden Futterpflanzen wie Mais, Gerste oder Futterweizen angebaut. Damit werden vor allem Schweine und Hühner gemästet, von denen der grösste Teil des konsumierten Fleisches stammt. Zusätzlich wird für die Fleischproduktion viel Kraftfutter aus dem Ausland eingeführt. Dabei wäre es nur schon aus Effizienzgründen sinnvoller, auf den Äckern menschliche Nahrung anzubauen. Werden die Pflanzen direkt vom Menschen konsumiert, lässt sich mit derselben Fläche ein Vielfaches der über den Umweg der Fleischproduktion erzeugten Nahrungsmittel herstellen.

«Hülsenfrüchte substituieren tierisches Protein und können Stickstoff binden. So bleibt der Boden fruchtbar.»

Tiere sollten zum Standort passen

Doch wäre es angesichts der gravierenden Umweltprobleme, die mit der Fleischproduktion zusammenhängen, nicht angezeigt, völlig auf Tierhaltung zu verzichten? Theoretisch ist das in der Schweiz denkbar. Die Bäuerinnen und Bauern würden Getreide, Gemüse und Früchte anbauen. Mastställe mit zusammengepferchten Tieren würden verschwinden. Doch mehr als zwei Drittel der Schweizer Landwirtschaftsfläche sind Grasland. Viele Standorte sind für den Ackerbau nicht oder nicht gut geeignet, gerade im Hügel- und Berggebiet. Das Grasland mit Wiederkäuern zu nutzen, ist sinnvoll: Sie können das Raufutter, das wir Menschen nicht verdauen können, in Nahrungsmittel umwandeln.

Auch wenn man den Konsum von Fleisch und Milchprodukten ablehnt, bleibt die Frage, was man mit dem Grasland tun soll. Überlässt man es sich selbst, wird es längerfristig grösstenteils zu Wald. Wertvolles Kulturland sollte aber in einer Welt der knapper werdenden Ressourcen grundsätzlich für die Nahrungsproduktion verfügbar sein. Es gibt daher kaum Stimmen, die eine tierlose Schweizer Landwirtschaft fordern. «Tierhaltung kann sinnvoll sein, wenn die Tiere zum Standort passen. Das ist aber heute in der Schweiz immer weniger der Fall», sagt die freiberufliche Agrarökonomin Priska Baur, die viele Jahre an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) gelehrt und geforscht hat.

Ackerland für menschliche Nahrung nutzen

Wie eine standortangepasste und tierschonende Landwirtschaft aussehen könnte, hat Baur im Auftrag von Greenpeace modelliert. In ihrem Konzept halten die Bäuerinnen und Bauern nur noch so viele Tiere, wie sich vom Raufutter, das auf dem Grasland wächst, ernähren können. Das heisst: weiterhin Kühe und Rinder und einige Ziegen und Schafe, aber kaum noch Schweine und Geflügel. Auf den Äckern werden ausschliesslich Pflanzen für die menschliche Nahrung angebaut. So würden in der Schweiz immer noch 14 Kilogramm (Rind-) Fleisch pro Kopf und Jahr zur Verfügung stehen. Und man hätte weiterhin Nährstoffe aus Mist und Gülle, um die Äcker zu düngen. Auch Ackerbauer Lukas Weidmann ist froh um den Hofdünger von einem Tierbetrieb, den er auf seine Getreidefelder ausbringt.
Nach Baurs Modell würde die Schweiz weiterhin viele Nahrungsmittel importieren – wie während des gesamten 20. Jahrhunderts. Das sei auch ökologisch sinnvoll, weil das Land über vergleichsweise wenig fruchtbare Ackerfläche pro Einwohner verfüge.

Was eine Transformation der Schweizer Landwirtschaft zu mehr pflanzlicher und weniger tierischer Produktion ökonomisch bedeuten würde, hat Agrarwissenschaftlerin Priska Baur nicht im Detail modelliert. Sie hält allerdings die Folgen für die Mehrheit der Schweizer Bäuerinnen und Bauern für verkraftbar, dies, weil sie hohe Direktzahlungen erhalten. Ein Vorteil der Umstellung wären tiefere Produktionskosten, weil viel weniger Vorleistungen – etwa der Einkauf von Kraftfutter – nötig wären.

«Grossverteiler kaufen pflanzliche Rohstoffe lieber günstig im Ausland ein, als auf einheimische Ware zu setzen.»

Es braucht eine neue Subventionspolitik

Klar ist, dass sich in der Schweiz viel mehr pflanzliche Nahrung produzieren liesse. Doch dazu müsste die Agrarpolitik umgekrempelt werden. Die Fördermittel müssten weg von der tierischen zur pflanzlichen Produktion verschoben werden, das fordern ökologische Kreise schon lange. Heute subventioniert der Bund Fleisch, Milchprodukte und einige wenige Ackerkulturen. Unterstützt wird etwa die Produktion von Zucker, Rapsöl oder Weizen, nicht aber der Anbau von Proteinpflanzen wie Hülsenfrüchten, die Fleisch ersetzen können. Das zeigt sich beim Grenzschutz: Während Importe von Fleisch oder Weizen durch hohe Zölle verteuert werden, können Eiweisspflanzen zollfrei eingeführt werden – zu Preisen, zu denen Schweizer Bauern nicht produzieren können. Laut Bauernverband ist der fehlende Grenzschutz «die ausschlaggebende Ursache», dass deren Anbauflächen so bescheiden sind. Der Import sei «preislich sehr attraktiv».

Und der Staat schafft konkrete Fehlanreize: Für Zuckerrüben oder Futtermittel bekommt eine Bäuerin oder ein Bauer sogenannte Einzelkulturbeiträge von 1000 bis 2100 Franken pro Hektar, nicht aber für Eiweiss pflanzen für die menschliche Nahrung. Der Anbau von Ackerbohnen, Eiweisserbsen und Lupinen – alles essbare Pflanzen – wird sogar nur unterstützt, wenn sie als Tierfutter verwendet werden. Dieser Ungleichbehandlung will Meret Schneider ein Ende setzen. Die Zürcher Grünen-Nationalrätin fordert in einer Motion dieselben Unterstützungsbeiträge für diese drei Kulturen, unabhängig von ihrem Verwendungszweck. Damit will die Politikerin «innovative Landwirte darin bestärken, vermehrt Nahrung für den direkten Verzehr anzubauen».

Einheimische Hülsenfrüchte «wiederentdecken»

Doch neben der Politik tragen auch Grossverteiler und Konsumentinnen eine Verantwortung dafür, was die Bäuerinnen und Bauern produzieren. Die Landwirtschaftsbranche argumentiert häufig, man stelle bereit, was nachgefragt werde. Und die Leute wollten nun mal Schweizer Fleisch. Dass trotz Vegi-Boom die Nachfrage nach Eiweisspflanzen aus dem Inland gering ist, liegt auch an der Politik der Grossverteiler. Diese kaufen pflanzliche Rohstoffe lieber günstig im Ausland ein, als auf einheimische Ware zu setzen. Denn bei Vegi-Convenience-Produkten oder Hülsenfrüchten achten die Konsumentinnen und Konsumenten, anders als bei Fleisch, kaum auf die Herkunft.
Doch es gibt Lichtblicke: Bereits wird Tofu in grösseren Mengen aus Schweizer Biosoja hergestellt. Hier hat der Detailhändler Coop den Aufbau einer Produktionskette gefördert. Dazu beigetragen, dass die aus wärmeren Gegenden stammende Sojapflanze heute in hiesigen Gefilden gut kultiviert ist, hat auch das Forschungsinstitut für biologischen Landbau in Frick (Fibl). Hansueli Dierauer vom Fibl forscht seit Jahren zu Hülsenfrüchten. Deren Anbau sei nicht so einfach, betont der Agronom: «Man kann nicht einfach einem Luzerner Schweinebauern sagen, er solle ab jetzt Soja oder Linsen pflanzen.» Dazu brauche es viel Wissen, das man sich erst aneignen müsse. Und nicht alle Regionen der Schweiz seien für den Anbau der wärmeliebenden Hülsenfrüchte geeignet.

Ökologisch doppelt sinnvoll

Aber vielleicht sollten wir uns einfach an dem orientieren, was schon da ist und war. Linsen etwa sind eine traditionelle Kultur und standen bis nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Speiseplan vieler Schweizerinnen und Schweizer. Hansueli Dierauer sagt, auf dem Weg in eine fleischarme Zukunft gebe es statt importierter Kulturen wie etwa Kichererbsen genug standortangepasste Pflanzen, neben Linsen etwa Ackerbohnen, Körnererbsen und Lupinen. «Ackerbohnen hat man früher auch in der Schweiz gegessen.»
Hülsenfrüchte anzubauen, ist ökologisch doppelt sinnvoll: Sie substituieren tierisches Protein und können Stickstoff binden. So bleibt der Boden fruchtbar, und man spart tierischen Dünger. Höchste Zeit also, mal eine Ackerbohnensuppe oder einen Lupinensalat zu versuchen.

Daniel Bütler ist freier Journalist und Texter in Zürich.

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Von den knapp 50000 verbliebenen Bauernhöfen in der Schweiz stellten in den letzten Jahren mehr als 70 auf vegane Landwirtschaft um. Sie verzichten auf die Ausbeutung und das Töten der sogenannten Nutztiere. Unterwegs mit der Initiantin der Bewegung, der Ethikerin und Landwirtin Sarah Heiligtag.

06.12.2021 von Esther Banz

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