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05.12.2018 von Muriel Raemy

Bewusstsein für den Boden schaffen

Das Nationale Forschungsprogramm (NFP) 68 hat die Ressource Boden aus biologischer, geografischer, politischer und ökonomischer Sicht beleuchtet. Im Fokus stehen beispielsweise bodenverbessernde Anbaumethoden. Oder Instrumente zur Beurteilung der Bodenqualität, wie sie in einem Waadtländer Projekt getestet werden.

Artikel in Thema Boden

Illustration: Claudine Etter

«Der Boden ist ein hochkomplexes System. Die Herausforderung besteht darin, dieses System zu verstehen, um sein Gleichgewicht nicht zu stören», sagt Raphaël Charles. Der Agronom am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) ist regelmässig in der ländlichen Westschweiz unterwegs. Eine der Aufgaben des FiBL ist die Förderung einer bodenfreundlicheren Landwirtschaft. «Wir suchen die besten Methoden, mit denen auf den Einsatz chemischer Hilfsstoffe verzichtet werden kann. Landwirtinnen und Landwirte legen dabei grossen  Wert auf wissenschaftliche Fakten.» Da trifft es sich gut, dass im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68) in diesem Frühling umfangreiche Daten veröffentlicht wurden. Raphaël Charles leitete als Forscher innerhalb des Themenschwerpunkts «Boden in Agrarsystemen» (siehe Infobox) ein Projekt zu bodenverbessernden Anbausystemen.

Von der reinen Forschung...

Denn der Boden ist nicht in Höchstform. «Derzeit gibt es vier wesentliche Gefährdungen des landwirtschaftlichen Bodens: die Bodenverdichtung, den Verlust an organischer Bodensubstanz, die Erosion und den Biodiversitätsverlust», fasst Raphaël Charles zusammen. Die multidisziplinären Teams des NFP 68 haben ihr Wissen vereint und nach nachhaltigen Lösungen gesucht. Zwischenkulturen können beispielsweise die Fruchtbarkeit von leicht verdichteten Böden wiederherstellen und bieten intensiv genutzten Parzellen eine willkommene Atempause. Hülsenfrüchtler, sogenannte Leguminosen, haben die Fähigkeit, in der Luft enthaltenen Stickstoff zu binden, und können so auf wirksame Weise Dünger ersetzen. «Betrachtet man die Umwelt als Ganzes, entfernt man sich von der Vorstellung, dass der Boden einfach eine Unterlage ist, die maximal gedüngt werden muss», erklärt Raphaël Charles.

Auch Bodenorganismen tragen zur Nährstoffanreicherung des Bodens und zum Pflanzenschutz bei. Bakterien, Pilze, die Pflanzenwurzeln besiedeln, oder parasitäre Würmer, die den Körper von Schadinsekten befallen, wurden auf ihre Rolle bei der Bereitstellung von Nährstoffen oder der Insektenbekämpfung hin untersucht. «Zahlreiche Bodenprozesse sind zwar seit langer Zeit bekannt, doch deren aktive Nutzung in der Landwirtschaft war bisher beschränkt. Wir benötigen auch weiterhin mehr Erkenntnisse, wie natürliche Mechanismen genutzt werden können, um daraus wirksame Instrumente für die Praxis abzuleiten.»

...zur Anwendung

Wenn sie von Hilfsstoffen unabhängig werden möchten, müssen Landwirtinnen und Landwirte die Qualität und somit die Fruchtbarkeit ihrer Böden beurteilen können. Vor diesem Hintergrund haben das FiBL und ProConseil gemeinsam das Projekt «Progrès Sol» ins Leben gerufen, das vom Kanton Waadt finanziert wird. Die 42 freiwillig daran teilnehmenden Bäuerinnen und Bauern treffen sich in Arbeitskreisen, tauschen ihre Erfahrungen und Methoden aus. Ihre Parzellen werden über einen Zeitraum von fünf Jahren evaluiert. «Am Schluss verfügen sie über eine Reihe von Instrumenten, die sie selbst getestet, verbessert und ausgebaut haben. Sie zeigen eine grosse Begeisterung für das Thema und sind die besten Botschafter gegenüber ihren Berufskolleginnen und -kollegen», freut sich Raphaël Charles.
Eine Methode, mit der die Aktivität der Bodenorganismen leicht getestet werden kann, besteht darin, einen Slip aus Biobaumwolle oder einen Teebeutel im Boden zu vergraben und dann deren Abbau zu beobachten. «Zugegeben, wie wir über die Methode mit dem Baumwollslip kommunizieren, ist ein wenig provokativ. Sie ist noch nicht wissenschaftlich standardisiert. Doch es geht ja darum, die Neugier und das Interesse der Landwirtschaft und der Laien für den Boden zu wecken – und diese Technik ist zugänglich, spielerisch und funktioniert!», sagt Charles.

Naturnahe Methoden als Ideal

Die heutige Landwirtschaft ist das Ergebnis einer Entwicklung, die ab dem 19. Jahrhundert von der Mechanisierung und dem zunehmenden Einsatz von chemischen Hilfsstoffen geprägt war. Gleichzeitig regelte die Politik die Rolle und die Aufgaben der Landwirtschaft mit immer neuen Gesetzen. Die aktuelle Forschung geschieht also vor dem Hintergrund, dass die Bedeutung und die Belastung des Bodens in den vergangenen Jahrzehnten gleichzeitig zugenommen haben. Raphaël Charles stellt fest, dass der Bauer bei dieser Entwicklung letztlich auf sich allein gestellt ist. «Er trägt die Konsequenzen der politischen Entscheidungen, des Drucks der Detailhandelsgiganten und der Kaufentscheide der Konsumenten.»
Die Forscherinnen und Forscher haben diese Spannungsfelder deutlich gemacht, und sie plädieren dafür, dass Akteurinnen und Akteure in der gesamten Wertschöpfungskette – vom Produzenten über die verarbeitende Industrie, den Detailhandel und die Hersteller von Pflanzenschutzprodukten bis hin zu den Konsumentinnen und Konsumenten – die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf die Bodenqualität bedenken. Raphaël Charles schliesst: «Unsere Empfehlungen gehen in Richtung einer boden- und standortgerechteren Landwirtschaft. Das Ideal wäre die Entwicklung von naturnahen Methoden, die sich auf ein Maximum an Wissen abstützen.»

Wissen als Grundlage für politische Entscheidungen

Man gräbt ihn um, ohne lange darüber nachzudenken. Dabei ist er die Grundlage allen Lebens. Der Boden ist in seiner ganzen ökologischen Komplexität noch wenig bekannt. Unter dem Druck von grossen gesellschaftlichen Herausforderungen – wie der Produktion von Nahrungsmitteln und der Schaffung von Wohnraum für die ständig wachsende Bevölkerung – wird er ausgebeutet. Der Bundesrat erkannte diese Problematik und gewährte 13 Millionen Franken für die 25 Projekte des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Nutzung der Ressource Boden» (NFP 68).

«Wir haben drei Ziele verfolgt: die Bereitstellung von verbessertem Wissen über Bodensysteme, die Entwicklung von Instrumenten zur Bewertung der Ressource Boden und die Erarbeitung von Strategien zur nachhaltigen Nutzung von Boden», erläutert Emmanuel Frossard, Professor am Institut für Agrarwissenschaften der ETH Zürich und Präsident der Leitungsgruppe des NFP 68. Die Resultate der Projekte, die in vier Themenschwerpunkte (organische Bodensubstanz, Bodenbiologie, Boden in Agrarsystemen sowie Bodeninformation und Steuerung) gegliedert waren, wurden im April und Mai dieses Jahres in Form von fünf thematischen Synthesen veröffentlicht:

  1. Boden und Nahrungsmittelproduktion
  2. Boden und Umwelt: Organische Bodensubstanz, Treibhausgasemissionen und physikalische Belastung von Schweizer Böden
  3. Eine Bodenagenda für die Raumplanung
  4. Bodeninformations-Plattform Schweiz (BIP-CH): Bodeninformationen, Methoden und Instrumente für eine nachhaltige Nutzung der Ressource Boden
  5. Wege zu einer nachhaltigen Bodenpolitik


«Die Prozesse, die für die Bodengesundheit verantwortlich sind, sind noch wenig bekannt. Die Arbeit so zahlreicher Forscherinnen und Forscher am Thema Boden hat ermöglicht, umfangreiche Kenntnisse zu gewinnen und sie zu strukturieren. Dies trägt dazu bei, dass Instrumente und Strategien entwickelt werden können, die den Bedürfnissen der Bundesämter entsprechen», fasst Frossard zusammen.
Welche zentrale Botschaft kann aus dem NFP 68 abgeleitet werden? «Wir setzen uns dafür ein, dass der Boden in seinen drei Dimensionen wahrgenommen wird – und nicht mehr nur zweidimensional – und dass seine unterschiedlichen Funktionen anerkannt werden. Wir schlagen neue Instrumente vor. Doch vor allem muss sich auf der Ebene der politischen Entscheidungen und deren Auswirkungen auf den Boden etwas ändern. Wir wünschen uns die Schaffung eines Boden-Kompetenzzentrums auf nationaler Ebene und plädieren dafür, dass sich alle Akteure auf eidgenössischer und kantonaler Ebene vernetze und über den Boden sprechen», meint Emmanuel Frossard abschliessend.

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