1321
05.12.2018 von Mirella Wepf

Humusaufbau als Mission

Die Landwirtschaft fördert die weltweite Bodenerosion. Jährlich gehen zig Milliarden Tonnen an fruchtbarer Erde verloren. Dass Landwirte die Humusschicht auch aufbauen können, zeigt Familie Hegglin auf ihrem Hof Oberbrämen in Menzingen (ZG).


Beitrag der ABS
Artikel in Thema Boden
Schon als Teenager wusste Martin Hegglin, dass er eines Tages Landwirt werden würde. «De Hof übernimmsch du denn einisch», hatte sein Vater bestimmt, und ihm war es recht so. Als er 20 Jahre alt wurde, war es so weit. Doch obwohl Hegglin seinen Traumberuf ausübte, war er nicht glücklich. «In den ersten Jahren fehlte mir einfach etwas, und ich wusste nicht, was», sagt er im Rückblick. Ein Kurs, den sein Nachbar Fredy Abächerli organisiert hatte, brachte 1997 die Wende. «Eine zierliche Frau aus Österreich mit langen Zöpfen stand vor rund 20 skeptischen Bauern und brachte uns die Kunst des Kompostierens nahe», erzählt Hegglin. «Nach ein paar Tagen machte es bei mir klick – und ich wusste: Das ist es!»

Klimapositive Landwirtschaft als Ziel

Seither hat er in seinem Betrieb fast alles auf den Kopf gestellt, und er «ackert» im wahrsten Sinne des Wortes mit einer ungeheuren Energie. Mehr noch: Hegglin verfolgt eine Mission. In den letzten 20 Jahren ist es ihm gelungen, auf seinem Hof die Humusschicht zu verdoppeln. Das sei schön und gut, doch er wolle auch Nachahmer finden, sagt er. «Die Welt steht vor riesigen Umweltproblemen!»

Eine Ende 2017 von der Universität Basel publizierte Studie zeigt, dass die Bodenerosion weltweit zunimmt. Pro Jahr gehen rund 35 Milliarden Tonnen fruchtbare Erde verloren. Hauptursache sind der menschliche Ackerbau und die stets intensivere Art der Landnutzung. Die Erosion führt zur Freisetzung von Treibhausgasen, verringert die Landproduktivität und gefährdet so die Ernährung der Weltbevölkerung. Man müsse endlich Gegensteuer geben, meint Martin Hegglin, unter anderem mit einer nachhaltigeren Bewirtschaftung der Böden. Auf seinem Hof konnte er beweisen, dass sich die Humusschicht mit Landwirtschaft auch aufbauen lässt. Zusätzlich möchte er gemeinsam mit weiteren Partnern aufzeigen, dass es möglich ist, einen Landwirtschaftsbetrieb wirtschaftlich zu führen und dabei der Atmosphäre unter dem Strich Treibhausgase zu entziehen, also eine klimapositive Landwirtschaft zu betreiben.

Gemeinsame AG für Kompostproduktion

Als Hegglin mit dem Aufbau der Kompostproduktion begann, war er knapp bei Kasse und musste sich für den Kauf seiner ersten Kompostwendemaschine verschulden. «Ich sagte zu meiner Frau: Das müssen wir jetzt einfach machen, und wenn wir dabei verlumpen!» Yvonne Hegglin zog mit, und das Wagnis gelang. Gemeinsam mit Fredy Abächerli und acht weiteren Partnern gründete Hegglin die Verora AG – der Name steht für «VERwertung ORganischer Abfälle». In den ersten Jahren zählten vor allem umliegende Gemeinden zu Hegglins Kunden, die ihn für die Entsorgung ihrer Grüngutabfälle entschädigten. Den Kompost brachte er auf seinen Feldern aus oder gab ihn zu günstigen Preisen an andere Bauern weiter.

Das Aufkommen von Biogasanlagen zwang ihn zu einem neuen Geschäftsmodell. «Von Gemeinden erhalten wir fast kein Grüngut mehr», erzählt er. Dieses bezieht er heute vorwiegend von Landschaftsgärtnern. Mit der Produktion von hochwertigem Kompost hat er sich einen neuen Kundenstamm aufgebaut. «Wir beliefern beispielsweise Baumschulen, Gemüsebauern und Hobbygärtner.»

Perfekte Kombination mit Tierzucht

Derzeit verarbeitet Hegglin auf dem Hofareal jährlich 400 Tonnen Grüngut, darunter auch riesige Wurzelstöcke, die er mit viel Aufwand verhäckseln muss. Einen Teil dieses Materials verwendet er als Streu für seine 18 Mutterkühe und im Schweinestall, bevor er es zusammen mit dem restlichen Kompost zu sogenannten Mieten (niedrige, bedeckte Walme) aufschichtet und verrotten lässt. Mit der Wendemaschine sorgt er dafür, dass bei diesem Prozess immer genügend Sauerstoff vorhanden ist.

Die Kombination von Stallstreu und Kompost hat mehrere Vorteile: Der Kot und der Urin der Tiere erhöhen den Nährstoffgehalt des Komposts, und im Stall bindet die Einstreu den Geruch. Die Redensart «Das stinkt ja wie im Schweinestall!» trifft jedenfalls in Hegglins neuem (und durch einen Kredit der ABS mitfinanzierten) Ökonomiegebäude für die Ferkelzucht überhaupt nicht zu. Es riecht dort ganz angenehm.
«Genau das zeigt den Unterschied zwischen Faulen und Verrotten!», erklärt Hegglins Nachbar und Geschäftspartner Fredy Abächerli. Denn in den Ställen von Hegglin können die Mikroben dank genügend Luftzufuhr optimal arbeiten. In einer Jauchegrube oder auf einem grossen Miststock wäre dies nicht der Fall. Da dort oft zu wenig Sauerstoff vorhanden ist, entsteht Fäulnis, die sich durch Gestank bemerkbar macht. Abächerli: «Diese gasförmigen Nährstoffverluste (Ammoniak, Methan, Lachgas) sind auch schädlich für das Klima.» Anstelle von grossen Jauchegruben oder Miststöcken betreiben die Hegglins darum Kompostmieten von rund 500 Metern Länge.

Pflanzenkohle – ein Tausendsassa

Eine wichtige Komponente, die Hegglin im Stall und auf dem Kompostplatz verwendet, ist Pflanzenkohle. Seit 2012 produziert er diese mit seinen Partnern von der Verora AG sogar selbst. Die Anlage – eine der ersten dieser Art in der Schweiz – steht auf dem Hof von Franz Keiser in der Gemeinde Neuheim, rund acht Kilometer von Hegglins Betrieb entfernt. Die Kohle verkauft die AG an Bauern, Gärtnereien und Privatpersonen.

Das schwarze Pulver ist laut Fredy Abächerli sehr vielseitig einsetzbar: Als Tierfutterzusatz helfe es gegen Durchfall und fördere die Verdauung. Dem Stallstreu beigemischt, reduziere die Kohle die Feuchtigkeit, mindere Gasemissionen und nehme Nährstoffe auf. Nach der Kompostierung landet die Kohle schliesslich auf dem Feld und wirkt dort als Bodenverbesserer. Abächerli: «Dort gibt sie die Nährstoffe langsam wieder ab und verbessert als Feuchtigkeitsspeicher die Humusstruktur.» Der eigentliche Clou sei jedoch, dass die Kohle abbaustabil über Jahrhunderte im Boden verbleibe, erklärt der Agronom. «So lässt sich der Klimawandel abbremsen!» Denn mit dieser Methode lässt sich der Atmosphäre CO2 entziehen. Dazu muss man wissen: Bäume und Sträucher entziehen der Atmosphäre Kohlenstoff. Werden sie zu Kohle verarbeitet, wird das CO2 nicht wie bei der Verbrennung vollständig an die Umwelt abgegeben, sondern es bleibt als Kohle gebunden.

Hof und Wissen gehen weiter an die nächste Generation

«Meine Hosentasche ist leider immer noch flach», scherzt Hegglin. Reich geworden sei er bisher nicht. Er habe fortlaufend wieder investiert, doch er wisse einfach, dass er auf dem richtigen Weg sei. Dieser war allerdings recht steinig. «Yvonne und ich haben viel Kraft gebraucht», erzählt er. «Wir kamen mehr als einmal physisch und psychisch an unsere Grenzen.» Auch gab es Zeiten, in denen diverse Bauern aus der Region kaum mehr mit ihm sprachen, unter anderem, weil sie Angst hatten, dass das Unkraut, das er nach der Umstellung auf Bio einfach spriessen liess, sich auf ihren Feldern ausbreiten könnte. «Das hat sich zum Glück beruhigt», erzählt Hegglin. Denn unter anderem konnte er zeigen, dass sich das Wachstum der gefürchteten Blacke (Sumpfblättriger Ampfer) mit der Zeit von allein reguliert. Zudem fährt Hegglin mittlerweile regelmässig sehr gute Ernten ein. Besonders stolz ist er auf seine prächtigen Dinkelfelder.

Mit seinen knapp 50 Jahren wird Hegglin noch eine Weile auf der «Oberbrämen» als Bauer weiterwirken, doch wie sein eigener Vater hat er seinen Nachfolger aus der vierköpfigen Kinderschar bereits früh auserkoren. Der 16-jährige Sohn Emanuel wird voraussichtlich den Hof übernehmen. Die anderen Kinder zeigen ebenfalls Interesse an der Landwirtschaft. «Wir können den Hof leider nur einem geben», sagt Hegglin. Doch er ist überzeugt, dass seine Kinder auf dem elterlichen Hof so viel über gesunde Bodenbewirtschaftung gelernt haben, dass sie überall auf der Welt ein Auskommen finden werden. «Solche Fachleute sind in Zukunft gesucht!» Er habe lange gegen den Strom schwimmen müssen, doch seit einigen Jahren würden Themen wie Kompost, Humusaufbau, klimapositive Landwirtschaft oder Pflanzenkohle zum Trend. Seine Frau fällt ihm lächelnd ins Wort: «Wir vererben unseren Kindern kein Geld, aber viel Wissen über Kompostierung.»
Artikel ausdrucken
Verwandte Artikel

Einer nimmt den Druck weg

Immer grösser, immer schwerer – das gilt auch für die Fahrzeuge auf dem Acker. Ein Landwirt im Bernischen macht genau das Gegenteil: Er entkleidet seinen Traktor. Weil er weiss, wie gefährdet die nicht erneuerbare Ressource Boden ist.
05.12.2018 von Esther Banz

Bewusstsein für den Boden schaffen

Das Nationale Forschungsprogramm (NFP) 68 hat die Ressource Boden aus biologischer, geografischer, politischer und ökonomischer Sicht beleuchtet. Im Fokus stehen beispielsweise bodenverbessernde Anbaumethoden. Oder Instrumente zur Beurteilung der Bodenqualität, wie sie in einem Waadtländer Projekt getestet werden.
05.12.2018 von Muriel Raemy