Die Medienlandschaft befindet sich in einem fundamentalen Wandel: Besonders die Generation Z weiss kaum mehr, wie sich Zeitungspapier anfühlt. Wie informieren sich die Jungen heute, insbesondere zu politischen Themen?
moneta: Seriöse, unabhängige Medien kommen zunehmend unter Druck. Was bedeutet das?
Daniel Vogler Medien sind sehr wichtig für eine funktionierende Demokratie, gerade in der Schweiz mit ihrem direktdemokratischen System, wo wir viel über Sachfragen abstimmen. Das System braucht eine gut informierte Bevölkerung. Medien liefern die Informationen, die die Bevölkerung braucht, um sich eine Meinung zu bilden. Parteien, Politikerinnen und Politiker, die Regierungen, auch NGOs, Unternehmen und viele weitere, die am Meinungsbildungsprozess beteiligt sind, brauchen eine Bühne. Bisher war es der Journalismus, der diese zur Verfügung stellte.
Geht es aus der politischen Perspektive vor allem um die Informationsvermittlung und Einordnung, die der Journalismus leistet?
Nicht allein. Es geht auch darum, wichtige Themen überhaupt zu artikulieren, ins Bewusstsein und auf die politische Agenda zu bringen.
NGOs und Parteien betreiben eigene Publikationen und Newsletter. Kompensieren diese Kanäle, was vonseiten der Verlagsmedien aufgegeben wird?
Natürlich transportieren auch Bürgerinitiativen oder eigene Publikationen von politischen Akteuren oder Unternehmen relevante Inhalte. Aber damit erreicht man fast nur die, die man ohnehin schon hat. Diese Kanäle sind ausserdem kein Ersatz für die Medien, die fern von Eigeninteressen Themen in die Öffentlichkeit bringen und politische Fragen aufwerfen. Medien sind im Idealfall auch Orte, an denen diskutiert und gestritten werden kann – online, im Fernsehen, am Radio, aber auch in Zeitungen und Magazinen.
Unter den Sparmassnahmen der Verlage leidet auch der Lokaljournalismus stark. Macht Ihnen das Sorgen?
Ja! Und es sollte auch der Politik Sorge bereiten. In der Schweiz werden mehr als anderswo auf Gemeinde- und Kantonsebene Entscheidungen getroffen, die die Leute direkt betreffen, von den Steuern bis zum Schulhausbau. Deshalb ist es wichtig, dass unabhängige Medien zu den politischen Themen informieren. Und dass sie den Mächtigen auf die Finger schauen und Fehlentwicklungen aufzeigen. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit von lokalen Medien ist das Integrieren. Nehmen wir den Kanton Zürich mit seinem urbanen Zentrum und seinen ländlichen Gegenden als Beispiel: Die politischen Ansprüche sind auf dem Land ganz andere als in der Stadt. Der Journalismus hat also auch die Aufgabe, zum gegenseitigen Verständnis und zu einer gemeinsamen Identität beizutragen.
Die Politik hat Möglichkeiten, die Medien wieder zu stärken. Was läuft da?
Auf nationaler Ebene werden die Medien vor allem durch die Zeitungszustellung indirekt gefördert – das ist aber nicht sehr in die Zukunft gedacht, wenn man sieht, wie Medien zunehmend digital genutzt werden.
Was wäre sinnvoll?
Gewisse Kantone experimentieren mit unterschiedlichen Instrumenten der Medienförderung. Die Kantone Waadt und Freiburg gehen beispielsweise relativ weit. Sie haben umfangreiche Förderpakete beschlossen. Sie umfassen unter anderem die Unterstützung von Digitalisierungsinitiativen in Medienhäusern, die Finanzierung des Zugangs zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA sowie Medienkompetenzprojekte an Schulen und Gratisabos für Jugendliche.
Weil die Medien relevant sind für die Demokratie: Gibt es einen Kipppunkt?
Das ist schwierig zu sagen. Im internationalen Vergleich ist die Schweiz mit Blick auf die Versorgung mit Medien relativ gut aufgestellt. Allerdings fehlt im Moment ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell für Journalismus im Online-Bereich. Und die Initiative zur Reduktion der SRG-Gebühren könnte noch mal für eine Verschlechterung sorgen. Auch weitere Zusammenschlüsse der privaten Medienhäuser wären einschneidend, weil sie zu höherer Medienkonzentration führen.
Welche Folgen hätte das?
Medienkonzentration bedeutet in der Regel weniger Vielfalt und eine Konzentration von Macht, beispielsweise im Meinungsbildungsprozess. Unsere Studien zeigen, dass die Konzentration bereits sehr hoch ist. Bisher hatten wir Medieneigentümer, die sich ihrer publizistischen Verantwortung bewusst waren.
Und heute? Nehmen die Medienunternehmen ihre Verantwortung noch wahr?
Das ist eine Frage der Perspektive. Nehmen wir als Beispiel die TX Group, die unter anderem den «Tages-Anzeiger» herausgibt: Sie ist inzwischen klar auf Gewinnmaximierung ausgerichtet, könnte dabei aber noch radikaler sein und beispielsweise gänzlich auf Journalismus verzichten. Noch hält die Unternehmensgruppe ja viele Titel, gerade im regionalen Bereich. Das ist eine wichtige publizistische Leistung. Doch es gibt auch die andere Seite. Dass ein solcher Medienkonzern von staatlichen Geldern via indirekte Medienförderung für die Frühzustellung profitiert, während er kontinuierlich und im grossen Stil Stellen abbaut und riesige Gewinne verbucht, ist problematisch. Unternehmen wie die TX Group verantworten so den Braindrain im Journalismus mit.
Was bedeutet das für die Qualität?
Unsere Qualitätsmessung zeigt, dass der Journalismus in der Schweiz gute Qualität liefert. Etwas überspitzt formuliert, kann man sagen: Das, was gemacht wird, ist gut bis sehr gut. Das Problem ist, dass vieles nicht mehr gemacht wird. Also gewisse Themen systematisch vernachlässigt werden – eine direkte Folge von schwindenden Ressourcen. Die sinkende Vielfalt ist sicher ein Grund dafür, wieso Menschen weniger Medien nutzen.
Sagenhafte 48 Prozent der Erwachsenen im Land seien «newsdepriviert», hat das fög herausgefunden. Warum ist es ein Problem, wenn Personen wenig oder sogar gar keine Nachrichten mehr nutzen?
Das hat direkte Folgen für die Demokratie. Von einer früheren Studie wissen wir, dass Newsdeprivierte weniger an Abstimmungen teilnehmen und ein tieferes Vertrauen in die politischen Institutionen haben.
Was führt denn zu Newsdeprivation?
Das ist eine schwierige Frage. Zu Ursachen und Lösungen des Phänomens herrscht ein Mangel an Forschung. Eine These ist, dass News als zu negativ empfunden werden und sich Menschen deshalb bewusst von ihnen abwenden. Es gibt auch Hinweise für Verdrängungseffekte: In der digitalen Medienwelt gibt es Angebote – beispielsweise Streamingdienste oder Games –, die für Menschen spannender sind als News.
Wenn nicht aus den Medien: Woher nehmen die Bürgerinnen und Bürger die Informationen, die sie brauchen, um politische Entscheide zu treffen?
Auch das wissen wir noch nicht genau. In einer aktuellen Studie fragen wir: Welche Möglichkeiten haben die Leute heute, um sich zu informieren? Welche Rolle spielen Peers? Wie kann man sich über soziale Netzwerke gehaltvoll informieren?
Die SRG erreichte einst fast alle Haushalte im Land. Wie wichtig ist das öffentlich-rechtliche Radio und Fernsehen für die Meinungsbildung und die Demokratie heute noch?
Sehr wichtig! Die SRG erreicht viele Menschen. Mit ihren Flaggschiffsendungen wie der «Tagesschau», aber auch über die Regionaljournale, ist sie deshalb eine wichtige Stimme im öffentlichen Diskurs. Unsere Qualitätsmessung sagt auch: Es sind gute Sendungen. Zudem zeigt die internationale Forschung: Dort, wo die öffentlich-rechtlichen Medien stark sind, ist das Vertrauen in die Institutionen gut. Das heisst, sie nützen der Demokratie. Wir müssen ihnen deshalb Sorge tragen. Die SRG trägt auch nicht zum Problem der Medien bei. Die beklagte Verdrängung von privaten Medien durch die SRG lässt sich beispielsweise nicht nachweisen. Dass sich die privaten Medien auf sie einschiessen, ist also etwas absurd.
Es gibt Akteure, denen es nur recht zu sein scheint, wenn es mit der SRG bachab geht. Haben Sie diesen Eindruck ebenfalls?
Ja. Ich beobachte auch, dass hinter dem Ziel, die Serafe-Gebühren drastisch zu senken, nicht nur wirtschaftliche Interessen stecken. Für gewisse Akteure ist es von Vorteil, wenn das Land schwache Medien hat. Sie können ihre Botschaften einfacher verbreiten, wenn es keine Korrektive oder ausgleichenden Stimmen gibt.
Zum Schluss noch diese nicht ganz uneigennützige Frage: Hat Journalismus in gedruckter Form – auch Magazine wie dieses – noch eine Zukunft?
Print wird nicht mehr der Kanal sein, über den sich die Leute hauptsächlich informieren. Das ist er heute schon nicht mehr. Aber als Wochenzeitung oder Magazin wird Print weiterhin relevant bleiben. Zum Beispiel als Liebhaberobjekt und haptisches Erlebnis am Frühstückstisch.