Den professionellen Medien geht es schlecht. Immer weniger Leute leisten sich ein Zeitungsabo, die Einnahmen aus dem Online-Markt sind tief, und die SRG muss massiv sparen. Ein Gespräch mit Daniel Vogler vom Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) dazu, was die Medienkrise bedeutet.
Es gibt dieses Bonmot von Karl Valentin, wie staunenswert es doch ist, dass an jedem Tag exakt so viel passiert, wie in eine Zeitung passt. Das müsste man heute allerdings ein wenig umschreiben, eher hin zu: … wie in einen Newsfeed passt. Im Prinzip hätte sich das Problem damit ja erledigt, denn so ein Feed ist unendlich lang. Unsere Aufmerksamkeitsspanne allerdings nicht. Und, um das Ganze noch zu verkomplizieren: Was sich in so einem Feed alles an «News» tummelt, hat mit den guten alten Nachrichten eher wenig zu tun, da mischt sich Unterhaltendes mit Skurrilem und Herzigem, durchsetzt auch gern mit Politischem. Diese Beliebigkeit mag stören, vor allem nach klassischem journalistischem Verständnis: Im deutschen Wort «Nachricht» steckt ja durchaus auch ein bisschen Moral, etymologisch. Die Nachrichtung war etwas «wonach man sich zu richten hat, Anweisung». Von Nachrichten im Plural für aktuelle, besonders politische Meldungen spricht man erst im 20. Jahrhundert.
Spiel mit der Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer
Insofern hat man im Deutschen einen engeren Begriff dessen was «nachrichtenwürdig» ist, als es das simple englische «newsworthy» beschreibt. Mit dem Aufkommen digitaler Medien hat sich da aber noch etwas anderes sehr Entscheidendes verschoben: über Relevanz, darüber also, welche Meldungen letztlich in die Zeitungsspalten finden und welche über die nachrichtenwürdige Klippe springen, entscheidet nicht mehr ein Redaktionsgremium, sondern der Algorithmus. Das heisst also: in erster Linie das Nutzerverhalten. Es ist gar noch nicht so lange her, dass die Feeds (von Facebook, Twitter und Konsorten) eine Art Echtzeit-Funktion hatten, dass da also schlicht alles was abonniert war am Nutzer vorbeirauschte, in schöner chronologischer Folge. Das führte aber bald einmal zur Überforderung, zum «information overload» – vom amerikanischen Netztheoretiker Clay Shirky vielleicht richtiger als «filter failure» (Versagen des Filters) bezeichnet. Und so gingen die Plattformen eine nach der anderen dazu über, die Feeds nach Relevanzkriterien zu filtern und zu sortieren. Man nannte es «Kuration», und es eröffneten sich so alle möglichen Spielfelder, um mit der Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer zu experimentieren. Man nennt das Ganze auch gern «attention economy» (Aufmerksamkeitsökonomie) – die Werbeabteilungen lieben es.
Perfektioniert hat dieses Verfahren eindeutig Tiktok. Die Chinesen legten von Beginn weg jede Scheu beiseite, das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer bis ins feinste Detail zu erfassen und deren Launen entsprechend zu bündeln, was auf den Feed gespielt wird; abonnierte Kanäle spielen so kaum mehr eine Rolle. Der Erfolg gibt den Chinesen recht? Darüber streitet gerade die Welt – das von den USA eingeleitete Verkaufsverfahren der Plattform steckt in der Endlosschlaufe. Und die Frage, wie eng die Firma mit der chinesischen Regierung paktiert, bleibt so unbeantwortet wie relevant.
Wer entscheidet, was relevant ist?
Lassen wir mal die Diskussionen um vergeudete Handy-Zeit, um Vereinsamung und Influencerinnen mit fragwürdigen Lebenszielen beiseite. Denn schaut man sich Studien zur Mediennutzung der Generation Z an, dann wird klar: Hier geht es auch um politische Bildung. So hat eine Befragung der Werbefirma Neoviso ergeben, dass sich in der Schweiz 2022 über 92% aller Jungen über Social-Media-Kanäle und rund 50% via Online-Zeitungen informieren. Im Klartext: Nachrichten werden von der Generatio Z hauptsächlich über Social Media bezogen. Die Themen sind durchaus breit gestreut: Knapp 70% informieren sich über das Weltgeschehen und rund die Hälfte der Befragten zu Themen wie Politik und Umwelt. Das beliebteste News-Format ist klar das Video (79%), gefolgt von Bild (68%) und Text (63%). Eine Studie aus Deutschland zeigt indessen auf, wie sich mit dem zunehmenden Nachrichtenkonsum über Social Media auch die Vorstellung davon verändert, welche Personen als vertrauenswürdige Quelle gelten. Während bei Facebook und X (ehemals Twitter) vor allem Nachrichtenmedien und Kanäle von Journalistinnen und Journalisten als relevant gelten, sind es bei Instagram und TikTok in erster Linie Prominente, Influencer und private Personen, die Aufteilung ist dabei mehr oder weniger gedrittelt.
Da sich die Nutzung weiterhin weg von den klassischen Link-Plattformen wie Facebook und X zu Bildmedien wie TikTok verschiebt, drängt sich natürlich die Frage auf, wer da über die Relevanz der konsumierten Nachrichten entscheidet, zumal die Aufmerksamkeitsökonomie einen eindeutigen Drall zum, um es einmal journalistisch klassisch zu formulieren, Boulevardesken zeigt. Allerdings sollte man die Medienkompetenz der Jungen da womöglich nicht unterschätzen. Die Studien zeigen nämlich auch, dass das Bewusstsein für die Fragwürdigkeit einer Meinungsbildung allein via Social Media durchaus vorhanden ist. Freunde, Familie und Bekannte haben eine ebenso hohe Relevanz. In der Neoviso-Studie gaben über 56% an, dass sie sich zum Weltgeschehen über den Austausch mit ihrem Umfeld schlau machen. «Social News» eben, wie es Maik Fielitz vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft nennt: «Da wird eine andere Wertung von Information vorgenommen als das, was in einer Nachrichtensendung erscheint.» Dass diese Wertung nun ein wenig mehr bei den Nutzerinnen und Nutzern liegt und nicht mehr allein bei den journalistischen Gatekeepern, muss ja nicht zwingend schlecht sein. Auf jeden Fall besser als einfach blind dem Algorithmus zu vertrauen.