Zollbefreite Kunstaufbewahrung: Ein giftiges Geschäftsmodell

Wer an Kunst denkt, sieht Farben. Aber dieser Ort ist einer in Grautönen – graue Gebäude in grauer Asphaltumgebung. Wir befinden uns im Genfer Industriequartier La Praille auf dem Areal des Zollfreilagers, das auch schon als «grösstes Kunstmuseum der Welt» bezeichnet wurde. Waren im dreistelligen Milliardenwert seien hier gebunkert, schrieb die «NZZ am Sonntag» 2012. Wieviel davon in Gestalt von Werken Picassos, Rothkos, Monets, einer Louise Bourgeois oder Pipilotti Rist und anderer grosser bildender Künstlerinnen und Künstler – das weiss niemand so genau. Alain Decrausaz hätte womöglich Auskunft geben können. Aber der Direktor der Zollfreilager AG (Ports Francs et entrepôts de Genève SA) sagte den Interviewtermin mit moneta ab, «Corona» lautete die Begründung; einen neuen Termin schlug er nicht vor.

Dafür ist Gabriela Löffel gekommen. Die auch in Genf lebende Künstlerin setzte sich für ihre neuste Videoinstallation «Inside» intensiv mit der Abgeschlossenheit von Zollfreilagern und deren Funktion als Kunstlager auseinander. Mit ihren vielschichtigen Arbeiten durchdingt die Künstlerin Orte und Situationen, an denen Geld, Macht und Kälte zusammenkommen. Patriarchale Machtstrukturen, Krieg, Waffen, auch juristische Kampfplätze schrecken sie nicht ab. Zollfreilager scheinen auf den ersten Blick also ein eher harmloses Thema für sie zu sein – aber das täuscht: Zollfreilager sind nicht mehr (nur) die harmlosen Transitzonen, als die sie einst konzipiert wurden. Sie dienen heute auch der Geldwäscherei. Das Geld, das hier in Form von Kunst und anderen Objekten diskret und sicher aufbewahrt wird, kann von Steuerbetrügern, Potentaten oder sogar von Terroristen stammen.          

Gabriela Löffel ist schon länger für dieses Thema sensibilisiert, denn das Genfer Zollfreilager, das zu 87 Prozent dem Kanton Genf gehört, ist das älteste und grösste seiner Art und geriet in den letzten Jahren unter anderem wegen seines Hauptnutzers Yves Bouvier in die Schlagzeilen. Zudem verbrachte die Künstlerin als Gast der Pro Helvetia einige Zeit in Shanghai, gerade, als dort ebenfalls ein Zollfreilager gebaut wurde.

Jetzt steht Gabriela Löffel inmitten der massiven, grossflächigen Gebäude des Genfer Zollfreilagers, deren Zugänge alle bewacht werden – mit einer Ausnahme: Ein Trakt steht nicht im zollbefreiten Bereich, und hier hat die Kunstförderung der Stadt Genf Räume gemietet, um eigene Ankäufe aufzubewahren.

Auch die grossen Teile von Gabriela Löffels kritischer Zollfreilager-Arbeit sind hier eingelagert, denn die Stadt hat «Inside» gekauft. Mit dem Geschäftsmodell Zollfreilager habe man aber nichts zu tun, heisst es vonseiten der Genfer Kunstförderung – man möchte auf keinen Fall mit dem Namen Yves Bouvier in Verbindung gebracht werden. Beidem scheint etwas Toxisches anzuhaften – und das ist kein Zufall: Denn Zollfreilager, wie sie heute funktionieren – insbesondere jenes in Genf – sind ein Geschäftsmodell, das Yves Bouvier entwickelt hat. Es bietet beste Services rund um die Einlagerung und den Handwechsel teurer Kunst.

Nachdem das Interview mit dem Direktor des Zollfreilagers nicht zustande gekommen war, schickten wir die Fragen schriftlich. Von seiner Nachfolgerin Anne-Claire Bisch, die per 1. November offiziell die Leitung des Genfer Zollfreilagers übernimmt, erhielten wir schliesslich Antworten. Wir hatten unter anderem nach «Mipsa-Nord» gefragt, dem neuen Gebäude, das 2014 ausschliesslich für Kunst und Wein eröffnet wurde und perfekte Lagerbedingungen sowie Sicherheitsvorkehrungen bietet. Dazu Bisch: «Unsere bestehenden Gebäude waren voll und der Markt verlangte danach.» Wie viele Kunstwerke sich in «Mipsa-Nord» befinden, welchen Wert sie haben, wie die ein- und ausgehenden Kunstwerke kontrolliert werden: Darauf gibt die neue Direktorin «aus Vertraulichkeits- und Sicherheitsgründen» keine oder nur vage Antworten. Aber auf die Frage, ob es im Innern Räume gibt, in denen Kunst ausgestellt werden kann, schreibt sie: «Wir verfügen über einige spezialisierte Besichtigungsräume, die den Kunden im Rahmen unserer Bestimmungen und Sicherheitsvorkehrungen zugänglich sind.»

«Mipsa-Nord» war ein Projekt von Yves Bouvier. In Singapur und Luxemburg baute er ähnliche Kunstzollfreilager, weitere waren beispielsweise in Dubai und Malta in Planung. Für jenes in Singapur musste das dortige Parlament, wie der «New Yorker» schrieb, extra die Gesetzgebung ändern. Bouviers Grundidee bestand gemäss New Yorker darin, dass sich Freilager im 60 Milliarden Dollar schweren internationalen Kunstmarkt zu Drehscheiben entwickeln würden, «zu Orten für Wissenschaftler, Restauratoren, Versicherer, Spezialisten für Kunstfinanzierung, Berater und Händler.» Bouviers Idee war auch, dass dies Orte würden, an denen sich die Ultrareichen wohl fühlen.

Gabriela Löffel verlor bei ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema keine Zeit mit der Person Bouviers – sie interessierte sich ausschliesslich für die globalen Investitionssysteme. Für ihre Videoarbeit liess sie Fachleute Begriffe wie «Transit Zone», «Investment», «Offshore» erläutern – beispielsweise Sébastien Guex, Professor für neuere und neueste Geschichte an der Universität Lausanne; er sagt: «Zollfreilager waren bis vor vielleicht 30, 40 Jahren noch Transitzonen. Das sind sie nicht mehr. Sie wurden immer mehr zu Lagerplätzen.» Heute seien dort Luxusgüter eingelagert, «wegen der Intransparenz, weil dafür keine Steuern bezahlt werden müssen und weil die Sachen dort sicher sind.» Zollfreilager würden immer mehr zu privaten Museen, «aber es sind Museen, in die natürlich nur die top High Society gehen kann. Besondere Museen in dem Sinne, dass der Zweck nicht darin besteht, die Kulturgüter oder die Waren der Mehrheit zu zeigen, sondern nur jener Elite, die vielleicht an einem Kauf interessiert ist.»

Auch Marc-André Renold, Anwalt und Professor für Kunst- und Kulturerbe an der Universität Genf, äussert sich zu den Begriffen (hier gekürzt): «Die Schweiz ist für ihre Rolle im Kunsthandel kritisiert worden, wegen mangelnder Transparenz. Ich glaube, wir sind vorangekommen – aber es ist noch immer schwierig, herauszufinden, was sich im Zollfreilager befindet und schon lange dort liegt (…) vielleicht seit dem Zweiten Weltkrieg, vielleicht sogar schon länger.»

In jüngerer Zeit haben sich zahlreiche Juristinnen und Politiker mit dem Geschäftsmodell Zollfreilager beschäftigt. Ein Grund dafür ist die Affäre um Yves Bouvier – er soll sich gegenüber einem russischen Milliardär als Kunsteinkäufer ausgegeben haben, derweil er als eine Art Zwischenhändler fungiert und sich massiv bereichert haben soll. Ein anderer Grund für das erwachte Interesse an den Freilagern sind die «Panama Papers», dank derer ans Licht kam, dass im Zollfreilager Genf ein Bild des italienischen Malers Amedeo Modigliani gelagert ist – mutmasslich Nazi-Raubkunst. Und vor allem wurde immer offenkundiger, dass sich schmutziges Geld wegen der stärkeren Regulierung der Banken andere Orte suchen würde – und dass Kunst neben Immobilien einer dieser Orte ist.

Kunst- und Kulturgüter würden häufig über Offshore-Konstrukte (Briefkastenfirmen) gehalten «und die Frage nach dem wirtschaftlich Berechtigten entweder gar nicht oder nicht konsequent genug gestellt», schreibt Monika Roth, bis vor kurzem Professorin für Compliance und Finanzmarktrecht an der Hochschule Luzern, 2018 in «Schweizer Kunst». Sie beklagt auch, dass die Akteurinnen und Akteure im Kunstmarkt – Leitende von Kunstmessen, Galerien und Auktionshäusern, auch Sponsoren – im Geschäft mit hochpreisiger Kunst noch immer viel zu wenig genau hinschauen und so dazu beitragen würden, «die Transparenz, die zur Bekämpfung von deliktischen Verhaltensweisen zentral ist», zu verunmöglichen. Sie fordert: Die Politik muss sich des Kunstmarkts annehmen!

Das ist in der Zwischenzeit tatsächlich passiert, wenigstens in der EU: Wie die Zollfreilager – international auch «Freeports» genannt – illegales Handeln unterstützen, wurde Gegenstand verschiedener Untersuchungen. In einem neueren Bericht des Europäischen Parlaments zu Geldwäscherei und Steuerhinterziehung steht: «Freeports ähneln Offshore-Finanzzentren. Sie bieten sowohl hohe Sicherheit als auch Diskretion und ermöglichen Transaktionen, ohne die Aufmerksamkeit von Regulierungsbehörden und Behörden für direkte Steuern zu erregen (…). Das hohe Niveau der Geldtransaktionen, die mangelnde Vertrautheit der Vollzugsbehörden mit Werten und der tragbare Charakter der Kunst selbst tragen dazu bei, den Kunstmarkt zu einem geeigneten Vehikel für illegale Aktivitäten zu machen.»

2019 stimmte das Europäischen Parlament dafür, das Geschäftsmodell Zollfreilager innerhalb der EU auslaufen zu lassen – und zwar schnell. Bereits auf Anfang dieses Jahres regulierte die EU den Kunstmarkt im Rahmen des Kampfs gegen die Geldwäscherei in bisher undenkbarem Ausmass: So müssen Galeristen und andere Verkäufer von Kunst bei jeder Transaktion von 10'000 Euro und mehr die Identität des Käufers oder der Käuferin überprüfen und bei Verdacht Meldung erstatten. 

Und die Schweiz? Auch hier wissen die Behörden um die Gefahr von Geldwäscherei im Handel mit Kunstwerken. 2015 verfasste die interdepartementale Koordinationsgruppe zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung (KGGT) einen Bericht, in dem sie festhielt, dass im florierenden Handel mit Kunstgegenständen nicht alles zum Besten stehe. Im Kunstmarkt würden Geldwäscherei und Steuerbetrug unter anderem  durch hohe Diskretion und Intransparenz begünstigt, auch durch den schwierig zu bestimmende Wert eines Kunstwerks und dadurch, dass hohe Summen im Spiel seien und sich Transaktionen heimlich abwickeln liessen. Weiter heisst es in dem Bericht: «Die Geschäftspartner können anonym oder virtuell bleiben» und Auktionen würden sich leicht manipulieren lassen. Die KGGT nennt auch Beispiele für die Techniken der Geldwäscherei. So erfährt man, dass im Kunstmarkt falsche Rechnungen für fiktive Kunstkäufe ausgestellt und Auktionen fingiert werden. Die KGGT wunderte sich angesichts dieser Erkenntnisse in ihrem Bericht ganz offenherzig: «Während die wichtigsten Wirtschafts- und Finanzsektoren zur Bekämpfung der Geldwäscherei einer strengen Regulierung und Beschränkung unterworfen worden sind, haben die Gesetzgeber (…) den Kunstmarkt erstaunlicherweise ausser Acht gelassen.»

2015 verabschiedete der Bundesrat eine Strategie zu den Zollfreilagern und offenen Zolllagern. Dass eine solche dringend nötig sei, sagte die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) – das oberste Finanzaufsichtsorgan des Bundes. Dessen Expertinnen und Experten hatten sich mit den Zollausnahmebereichen beschäftigt und Missbrauchspotenzial im Zusammenhang mit Kulturgütern, Kriegsmaterial, Heilmitteln oder Rohdiamanten ausgemacht. Das Finanzdepartement erkannte nun: Blieben die hiesigen Zollfreilager weiterhin eine Black Box und potenziell Mittel zum kriminellen Zweck, würde es nicht lange dauern, bis die Schweiz unter massiven internationalen Druck geriete. Per 2016 wurde die Zollverordnung verschärft – unter anderem müssen jetzt sensible Waren in Zollfreilagern, zu denen auch Kunstwerke gehören, inventarisiert sein. Und bei Neueingängen muss der Eigentümer der Ware genannt werden.

Die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) bezeichnet den Bestand und die Eigentümerschaft sensibler Waren in den Zollfreilagern nun auf Anfrage von moneta als für sie «völlig transparent», das gelte auch für alle dort eingelagerten Kunstwerke. Bloss: Kann die Zollverwaltung ihrer Rolle überhaupt gerecht werden? Hat sie genügend Ressourcen, um problematische neue Wareneingänge oder Raubkunst, die schon seit Ewigkeiten in dieser verschlossenen Welt lagert, zu entdecken? Man führe keine systematischen Kontrollen durch, sagt die Zollverwaltung auf Nachfrage, aber die aktuelle «stichprobenmässige und risikobasierte» Kontrolltätigkeit der EZV mit den vorhandenen Ressourcen sei «zielführend».

Kritische Stimmen sagen jedoch, die zur Verfügung stehenden Ressourcen seien zu gering, ausserdem fehle der Zollverwaltung das Know-How und das Interesse, der Geldwäscherei im Kunsthandel schlagkräftig zu begegnen oder Raubkunst zu finden. So schreibt etwa Monika Roth 2018: «Die Zollbehörden gehen komplexen Strukturen nicht nach, was ein Grund dafür ist, dass Zollfreilager immer noch leicht als Versteck für illegal erworbene Kunstwerke und Kulturgüter genutzt werden können.»

Ein anderes Problem ist der Geltungsbereich unseres Geldwäschereigesetzes – viel zu eng sei dieser, sagt Martin Hilti, Geschäftsführer von Transparency International Schweiz: «Er beschränkt sich bei uns noch immer weitestgehend auf die Finanzintermediäre, also auf diejenigen Akteure, die direkten Zugriff auf Kundengelder haben.» Will heissen: Während die Banken jetzt verpflichtet sind, die saubere Herkunft der Gelder sicherzustellen, haben alle Spezialistinnen und Spezialisten, die in einen Kunstkauf involviert sind – wie Kunsthändlerinnen und Anwälte – keine entsprechenden Sorgfalts- und Meldepflichten wahrzunehmen. Es sei denn, sie nehmen Bargeld von mehr als 100'000 Franken an, was kaum je vorkommt und bislang noch nie eine Verdachtsmeldung an die Behörden zur Folge hatte. Hilti ärgert sich: «Die Gesetzeslücke erstreckt sich auch auf Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sitzgesellschaften – Briefkastenfirmen –, die sich bestens dazu eignen, die illegale Herkunft von Geldern zu verschleiern. Seit den ‹Panama Papers› ist allseits bekannt, dass Schweizer Anwälte im grossen Stil Sitzgesellschaften gründen, über die solche dubiosen Geschäfte abgewickelt werden können.»

Gemäss der Financial Action Task Force (FATF) – jener Instanz, die international den Standard setzt und darüber wacht, dass alle Länder sich an die vereinbarten Finanztransaktionsregeln halten – muss es zur Verhinderung von Geldwäscherei unbedingt Sorgfalts- und Meldepflichten für Akteurinnen und Akteure geben, die Dienstleistungen im Zusammenhang mit Sitzgesellschaften erbringen und die in den Kauf und Verkauf von Kunst und Immobilien involviert sind. Auch die EU verlangt von den Kunsthändlerinnen und -händlern, entsprechende Pflichten wahrzunehmen. Genau in diesen Bereichen, sagt Martin Hilti, habe die Schweizer Gesetzgebung heikle Lücken: «All diese Akteure fallen bei uns nicht unter den Geltungsbereich des Anti-Geldwäschereigesetzes.»

Diesen Missstand sollte die aktuelle Revision des Geldwäschereigesetzes beheben. Ein neuer Passus des revidierten Gesetzes verlangte, dass Anwälte, Treuhänderinnen und andere Dienstleister, die mit Briefkastenfirmen Vermögensgeschäfte abwickeln – wie etwa im Kunsthandel – Sorgfaltspflichten wahrnehmen müssen, so wie sie von den Banken verlangt werden. Der internationale Druck hatte bewirkt, dass Finanzminister Ueli Maurer in der Frühjahrssession innig für die von seinem Departement ausgearbeitete stärkere Regulierung warb. Aber eine Mehrheit des Nationalrats folgte der Empfehlung ihrer bürgerlich dominierten Rechtskommission und trat gar nicht erst auf die Vorlage ein. Die Rechtskommission des Ständerats wiederum strich schon im Vorfeld der Versammlung genau diesen Passus heraus, und der Ständerat folgte in der laufenden Herbstsession tatsächlich mit grosser Mehrheit dem Antrag seiner vorberatenden Kommission. Transparency International Schweiz twitterte: «Das Herzstück ist herausgeschnitten und CH Anwälte sollen weiterhin Handlanger von dubiosen Gestalten sein dürfen.»

Wenn Anwälte, Notarinnen und Kunsthändler weiterhin nicht genau hinschauen müssen, mit wem sie Geschäfte abwickeln, profitiert auch das «Geschäftsmodell Zollfreilager» weiter und mit ihm Geldwäscher, Steuerhinterzieherinnen und andere Kriminelle – in der Schweiz. Und ausgerechnet die Kunst, deren Wert für die Allgemeinheit unermesslich ist, bleibt in den Zollfreilagerhallen versteckt und gebunkert. Das einzige, das von ihr ausstrahlen darf, sind die giftigen Geschäfte, die mit ihr betrieben werden.