77
29.09.2025 von Esther Banz

«Wasser ist eine Ressource, kein Abfall»

Die Klimaerwärmung nötigt die Städte zu raschen Anpassungen – vor allem wegen der zunehmenden Hitze sowie Überschwemmungen durch Extremniederschläge. Mit dem Konzept der «Schwammstadt» kann Wasser in urbanen Räumen neu gedacht und gemanagt werden.

Artikel in Thema Wasser

Haben Sie schon einmal nachgeschaut, ob Ihr Haus in einer heiklen Oberflächenabfluss-Zone liegt? Das ist in der Online-Gefährdungskarte des Bundes möglich. In unserer Nachbarschaft sind einige Häuser dunkelviolett eingefärbt – das ist keine gute Nachricht. Denn es bedeutet, dass hier Regenwasser bei starken Niederschlägen nicht versickern kann, sondern oberirdisch abfliesst. Bei grossen Mengen kann es dadurch zu Schäden kommen. In der Schweiz sind rund zwei Drittel aller Gebäude von dieser Gefahr betroffen. Die Karte des Bundes soll sensibilisieren und dazu dienen, Schutzmassnahmen einzuleiten. Denn grosse Wassermengen, die innert kürzester Zeit vom Himmel fallen, wird es mit der Klimaerwärmung häufiger geben.

Wasser  fliesst in der Regel über den Asphalt ab und gelangt in die Kanalisation und die Kläranlagen. Diese Infrastruktur kommt bei Starkregen jetzt an ihre Grenzen. Es kann passieren, dass Abwasser zum Teil ungereinigt in die Gewässer gelangt. In Zürich zum Beispiel in die untiefe Sihl, weshalb insbesondere nach starkem Regen davon abgeraten wird , darin Abkühlung zu suchen.

Wasser im natürlichen Kreislauf behalten
Noch eine Frage: Sind Sie an einem Hitzetag auch schon einmal von der Stadt aufs Land hinausgefahren? Und haben Sie einen Temperaturunterschied wahrgenommen? Die Wissenschaft sagt, dass es mehrere Grad sein können. Städte werden immer öfter zu Backöfen. Und die Forschung zeigt, dass sich die Zahl der Tropennächte in den Stäten bei einer ungebremsten Klimaerhitzung hierzulande bis Ende des Jahrhunderts verdoppeln wird.

In einer Stadt oder einem anderen dicht bebauten Gebiet zu wohnen, bedeutet also, zunehmenden Hitze- und Überschwemmungsgefahren ausgesetzt zu sein. Denn die Böden sind hier mehrheitlich versiegelt, sprich bebaut und mit Asphalt bedeckt. Diese Flächen erhitzen sich stärker als Parks, Strassen mit Baumreihen oder andere grüne Zonen – und eben, das Wasser, das mittels Verdunstung kühlen könnte, fliesst einfach ab. «Aus den Augen aus dem Sinn», sagt die Umweltingenieurin Katharina Schulthess dazu und ergänzt: «Dadurch ist das Wasser dem lokalen Wasserkreislauf entzogen und kann nicht für Verdunstung und die Vegetation genutzt werden.» Schulthess ist auf Wasserkreisläufe spezialisiert und sammelte in den letzten Jahren viel Erfahrung mit dem Konzept der Schwammstadt.

Zahlreiche Hürden bei der Umsetzung
In einer Schwammstadt wird der natürliche Wasserkreislauf nachgeahmt: Wie ein Schwamm wird Regenwasser vor Ort aufgenommen, zurückgehalten und langsam weitergegeben. Sie speichert und reinigt es, lässt es versickern und verdunstet es – mit vielschichtigen positiven Effekten für Mensch und Umwelt. Das Konzept ist da, um zu bleiben. Aber mit der praktischen Umsetzung geht es nur langsam voran. Grund dafür sind zahlreiche Hürden. Die Humangeografin Anna Dieckemann zählt in ihrer Masterarbeit «Schwammstädte als Schlüssel zur urbanen Klimaresilienz» (2024) mehrere davon auf, angefangen bei fehlenden Daten und Fachpersonen. Auch fehle es – trotz starker medialer Beachtung für das Konzept – noch an Bewusstsein. In ihrer Untersuchung hat Dieckemann festgestellt, dass der Bund mit dem Bericht «Regenwasser im Siedlungsraum» im Jahr 2022 den Begriff zwar gefestigt hat, es hierzulande aber erst wenig Forschung dazu gibt.

Das ist angesichts der klimatischen Entwicklung erstaunlich. Die Klimaveränderungen passieren seit längerem und 73 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz leben in urbanen Gebieten. Katharina Schulthess spricht von einem notwendigen Paradigmenwechsel in der Entwicklung der Siedlungsräume und ist der Meinung, dass es mehr Sensibilisierung brauche.

Mehr «blau-grün» erhöht die Lebensqualität
Klar ist: Wie angenehm das Leben in einer Stadt ist, hängt immer mehr auch davon ab, wie sie mit Regenwasser umgeht. Wasser, das langsam versickert und an Ort und Stelle verdunstet, schafft nicht nur ein angenehmes Klima, sondern im Zusammenspiel mit Pflanzen auch Lebensräume, die der Biodiversität nützen.

Ausserdem treibt die Hitze die Menschen nach draussen. In der heisseren Zukunft werden in der dicht bebauten Stadt also Orte für Begegnungen in angenehmer Atmosphäre zur Lebensqualität beitragen. Auch hier ist die Schwammstadt ein Schlüssel. Katharina Schulthess spricht von Aufenthaltsqualität, von Aussenräumen, in denen man sich auch bei hohen Temperaturen treffen und aktiv sein kann: «Wir wollen in Zukunft ja nicht nur in gekühlten Wohnungen und Fahrzeugen sitzen». Für diese Aufenthaltsqualität im Aussenraum seien die «grün-blauen Infrastrukturen», wie mit Wasser und Pflanzen gestaltete Bereiche in Fachkreisen auch genannt werden, zentral. Der Paradigmenwechsel bedeutet in Farben gesprochen also: mehr blau-grün, weniger grau.

Die Politik ist gefordert
Das sieht auch Alain Bertschy so. Der Landschaftsarchitekt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Stadtbäume und die Schwammstadt gehören zu seinen Fachgebieten. Kürzlich startete an der ZHAW ein CAS-Programm zum Thema Schwammstadt, das er verantwortet. Bertschy arbeitet aber auch direkt mit Städten zusammen. In Luzern etwa leitet er ein Projekt, das Bäumen mit einem neuartigen, angepassten Substrat ein längeres Leben ermöglichen soll. Und in Zürich untersucht das Team, das er zusammen mit einem Kollegen leitet, welche Bedingungen für bestimmte Vegetationstypen geeignet sind, um sich optimal entwickeln zu können. Gemäss Bertschy ist es an der Zeit, «die Schwammstadt auf ein nächstes Level zu hieven». In der Schweiz seien die finanziellen Mittel vorhanden und auch der Druck aus der Bevölkerung nehme spürbar zu. Aber schnelle Anpassungen haben es im föderalistischen System schwer, jeder Kanton hat seine eigenen Gesetze. Und bis es neue, verbindliche Normen gibt, ziehen Jahre ins Land. So braucht es gemäss Bertschy neue Richtlinien, wie sie der Kanton Zürich inzwischen hat. Diese geben vor, wieviel Wasser überhaupt noch von einem Grundstück abfliessen darf. Und vielleicht käme man auch schneller vorwärts, betont der Experte, wenn nicht jede Stadt eigene, exklusive Wünsche hätte, etwa bei der Entwicklung von Baumsubstraten. Die Politik ist gefordert, und es braucht mehr Koordination.

Auf die Vegetation setzen
Darauf arbeitet das noch junge Netzwerk Schwammstadt hin, das der Verband der Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) initiiert hat. Auf der Infoplattform Schwammstadt sind einzelne gute Beispiele aufgeführt. Kürzlich betonte die Projektleiterin Schwammstadt des VSA, Silvia Oppliger, in einer Sendung von Radio SRF, die Umsetzung des Schwammstadt-Konzepts komme in der Schweiz besser vorwärts als noch vor einigen Jahren. Die Menschen seien wegen zunehmender Hitzetage und Dürrephasen, aber auch wegen Starkregen mit Schadensfällen eher bereit, Massnahmen zu treffen; aber: «Es braucht engagierte Fachleute, die das Thema voranbringen.» Sie selber trägt koordinierend und wissensvermittelnd zu dieser Entwicklung bei, etwa mit Webinaren und anderen Veranstaltungen.

Zu den komplexen Herausforderungen gehören auch die Besitzverhältnisse beim Boden, zudem der inzwischen stark ausgebaute Untergrund und die langfristige Pflege von erforderlichen Infrastrukturen. Wobei «Schwammstadt eigentlich low-tech bedeutet», sagt Alain Bertschy von der ZHAW: «Wir sollten auf die Vegetation setzen, die macht das schon. Dort wo man Technik eingesetzt hat, funktionierte es am wenigsten gut.»

Einig sind sich die Fachleute in allen grundlegenden Fragen, und allen voran dieser: Es braucht ein allgemeines Verständnis von «Wasser als Ressource, nicht als Abfall», wie es Katharina Schulthess ausdrückt. Sie ergänzt: «Wenn wir Wasser einfach ableiten, haben wir nichts davon, wir verschwenden dadurch ein riesiges Potenzial.» 

Artikel ausdrucken
Verwandte Artikel

95 400 Kilometer Wasserleitungen

Jährlich fallen etwa 60 Milliarden Kubikmeter Wasser auf die Schweiz in Form von Schnee oder Regen. 40 Prozent des Niederschlags ist verdunstetes Nordatlantikwasser, 25 Prozent kommen aus dem Mittelmeer, 20 Prozent von der Landoberfläche Mitteleuropas und 15 Prozent aus der Nord- und Ostsee. Schätzungsweise 13,1 Milliarden Kubikmeter stammen aus anderen Ländern.

29.09.2025 von Simon Rindlisbacher

Kläranlagen – eine Erfolgsgeschichte?

Die Schweiz ist international bekannt für ihre sauberen Flüsse und Seen. Das war nicht immer so: Bis weit ins 20. Jahrhundert gelangten Abwässer von Siedlungen und Industrie ungeklärt in die Umwelt. Erst mit dem Gewässerschutzgesetz von 1955 begann die Erfolgsgeschichte der Kläranlagen. Diese stehen heute allerdings vor neuen Heraus­forderungen. 

29.09.2025 von Roland Fischer