Jährlich fallen etwa 60 Milliarden Kubikmeter Wasser auf die Schweiz in Form von Schnee oder Regen. 40 Prozent des Niederschlags ist verdunstetes Nordatlantikwasser, 25 Prozent kommen aus dem Mittelmeer, 20 Prozent von der Landoberfläche Mitteleuropas und 15 Prozent aus der Nord- und Ostsee. Schätzungsweise 13,1 Milliarden Kubikmeter stammen aus anderen Ländern.
«Was auch immer dran ist an der Behauptung, ein bisschen übertrieben ist es schon, dass wir dieses Wasser nicht nur trinken, sondern auch die Toilette hinabspülen oder in brennende Gebäude spritzen. Die Toilettenspülung ist mit über 40 Litern pro Person und Tag der grösste Wasserschlucker im Haushalt, an zweiter Stelle folgt die Körperpflege mit 36 Litern. Beim Wasser gibt es insofern nur schwarz-weiss: Entweder es ist sauber, dann hat es Trinkwasserqualität, oder es ist schmutzig.
Das ist nicht überall so. In Hongkong gibt es schon seit den 1950er-Jahren ein «dual piping system». In diesem zirkuliert zum einen Trink- und zum anderen Meerwasser für Toiletten und als Löschwasser. Auch in den USA, vor allem in Kalifornien, gibt es Verteilnetze für Wasser in Nicht-Trinkqualität, die sogenannten «purple pipes», ihrer unverwechselbaren Farbe wegen. So gibt es in einigen Gebieten von San Francisco ein separates Verteilnetz für aufbereitetes Abwasser für die Bewässerung von Parks, für den Zoo und für Gewerbe. Warum also gibt es nichts Vergleichbares in der Schweiz?
Technisch gut machbar
Ein Projekt des Wasserforschungsinstituts der ETH (Eawag) hat sich der Frage des sogenannten Brauchwassers gewidmet, der Abschlussbericht ist eben erschienen. Fazit, kurzgefasst: Es ist kompliziert. Technisch stellt die Aufbereitung keine besondere Herausforderung dar: Abwasser kann je nach Aufwand als Brauchwasser oder nach weitergehender Reinigung sogar als Trinkwasser wiederverwendet werden. Das Expertenteam präsentiert Brauchwasser angesichts des Klimawandels und der zu erwartenden Trockenperioden als Teil der Lösung. Würden wir unsere WCs mit Nicht-Trinkwasser spülen, könnten rund 30 Prozent des häuslichen Trinkwasserbedarfs eingespart werden. Dieser Anteil würde bis auf 50 Prozent steigen, wenn wiederaufbereitetes Wasser von höherer Qualität auch für das Wäschewaschen und andere Nicht-Trinkwasseranwendungen gebraucht würde.
Die grosse Frage ist dabei, neben den individuellen hygienischen Vorlieben: Wie kommt das Brauchwasser zum Ort der Nutzung, zum Beispiel in den Spülkasten des WC? Die Aufbereitung würde am ehesten in den Kläranlagen passieren, zurück zu den Haushalten oder der Industrie bräuchte es dann neue Druckleitungen. Doch das grossflächige Verlegen neuer Leitungen im Boden wäre eine kaum zu finanzierende Mammutaufgabe. Als Alternative könnte das sogenannte Pipe-in-pipe-Verfahren zum Zug kommen – hierbei werden die Retourleitungen in grosse Abwasserrohre eingezogen –, aber auch diese Variante müsste stark subventioniert werden. Dass das Lebensmittel Trinkwasser hierzulande als Löschwasser genutzt wird, liegt schlicht daran, dass die Hydranten aus pragmatischen Gründen an die überall vorhandene Trinkwasserinfrastruktur angeschlossen sind.
Regulatorische Hindernisse
Je nach Nutzung gibt es auch regulatorische Hindernisse, wie die Studienautorinnen und -autoren feststellen: Denn aktuell gilt in der Schweiz eine Bewässerung mit speziell aufbereitetem Abwasser als Versickerung von verschmutztem Abwasser und ist gemäss der Gewässerschutzverordnung ohne besondere Bewilligung verboten. Hier wird die aktuelle Situation tatsächlich ein wenig paradox. Denn wo genau ist der Unterschied zwischen explizit aufbereitetem Abwasser aus einer Leitung (ob violett oder nicht) und einem Fluss, in den Kläranlagen münden? Dieses geklärte Wasser dürfen Bäuerinnen und Bauern zum Bewässern ihrer Kulturen nutzen.
Am einfachsten wäre ohnehin die «Luxusvariante» der Aufbereitung: Bringt man das Abwasser wieder auf Trinkwasserqualität, dann können bestehende Trinkwassernetze für die Verteilung genutzt werden. Diese aufwendigste Form der Aufbereitung wird an vielen Orten schon seit Jahrzehnten erfolgreich umgesetzt (z. B. Los Angeles, Windhoek, Singapur). Ob die Schweiz in Zukunft auch verstärkt auf Brauchwasser setzt, wird letztlich ein politischer Entscheid sein. Die EU sei uns da immerhin einen kleinen Schritt voraus, stellt der Bericht fest.