Politik ist auch eine Frage des Geldes. Trotz neuem Transparenz-Gesetz kann die Herkunft von Zuwendungen hierzulande verschleiert werden – und die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) muss sogar falsche Angaben publizieren. Dagegen kämpft der ehemalige Direktor der Behörde, Michel Huissoud, jetzt als Pensionär.
Eine Demokratie lebt davon, dass sich die Bevölkerung in ihrer ganzen Vielfalt von der Politik verstanden und vertreten fühlt. Die Wählenden und Stimmenden müssen darauf vertrauen können, dass die politischen Amtsträgerinnen und -träger ihre Sorgen und Bedürfnisse ernst nehmen und sich um Lösungen für drängende gesellschaftliche Probleme bemühen. Umgekehrt braucht das politische System eine aktive Bevölkerung, die willens und in der Lage ist, mitzuwirken. Da sich die Gesellschaft aber laufend verändert, besteht die Gefahr, dass das politische System ihr nicht mehr gerecht wird. Dann braucht es politische Reformen. Bestes Beispiel dafür ist die Einführung des Frauenstimmrechts 1971. Wo aber besteht heute Reformbedarf? Wie kann die Schweizer Demokratie weiterentwickelt werden, damit sie lebendig und stark bleibt?
Modernisierung des Bürgerrechts
Ein grosses Manko besteht heute bei der politischen Mitsprache der ausländischen Wohnbevölkerung: Wer keinen Schweizer Pass hat, ist von Wahlen und Abstimmungen ausgeschlossen. Daniel Kübler, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Zürich und Direktionsvorsitzender des Zentrums für Demokratie Aarau, erklärt: «Die Schweiz ist sehr stolz auf ihre direkte Demokratie und dass scheinbar alle mitwirken können. Für einen Viertel der Wohnbevölkerung gilt das aber nicht, und das ist mehr als ein Schönheitsfehler.» Zwar gewähren einzelne Gemeinden und Kantone ein sogenanntes Ausländerstimmrecht, aber auf nationaler Ebene fehlt eine entsprechende Regelung. In Kombination mit den restriktiven Einbürgerungsbestimmungen mache dies die Schweizer Demokratie zu einem wenig inklusiven System, erklärt der Politikwissenschaftler.
Das will die zivilgesellschaftliche Aktion Vierviertel ändern und hat die sogenannte Demokratie-Initiative lanciert. Diese sieht eine Modernisierung des Bürgerrechts vor, wie Mitinitiantin und Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone erklärt. Alle Menschen, die in der Schweiz leben, sollen nach fünf Jahren ein Grundrecht auf Einbürgerung erhalten. Dabei geht es um Gerechtigkeit gegenüber der ausländischen Wohnbevölkerung und um eine Anerkennung der Realität in der Schweiz. So betont Mazzone: «Wir leben zusammen, wir arbeiten zusammen, die Kinder gehen zusammen in die Schule. Deswegen ist es wichtig, dass auch alle mitentscheiden dürfen.»
Junge früher einbeziehen
Auch beim Einbezug der Jungen ins politische System sieht Lisa Mazzone Reformbedarf. Sie setzt sich für eine Senkung des aktiven Stimmrechts auf 16 Jahre ein. Das hätte zur Folge, dass die Bevölkerung insgesamt besser vertreten wird. Zudem zeigen Studien, wie Mazzone erklärt, dass sich ein früher Einbezug ins politische System positiv auf die politische Mitwirkung auswirkt.
Die Erweiterung der politischen Rechte auf die ausländische Wohnbevölkerung und auf junge Menschen würde die Basis des politischen Systems verbreitern und stärken. Entsprechende Vorstösse haben in der Schweiz aber einen schweren Stand. Nur gerade in einem Kanton (Glarus) gilt das aktive Stimmrecht ab 16 Jahren. Auf nationaler Ebene wurde eine entsprechende parlamentarische Initiative nach längerem Hin und Her im Frühjahr 2024 abgeschrieben. Die Demokratie-Initiative hingegen wurde noch nicht vom Parlament behandelt. Der Bundesrat hat sich aber vor Kurzem damit befasst und sie ohne Gegenvorschlag abgelehnt. Wie Parlament und Bevölkerung der Idee gegenüberstehen, wird sich zeigen müssen.
Übergewicht der ländlichen Regionen
Ganz grundsätzlich ist die politische Schweiz nicht besonders reformfreudig. Politikwissenschaftler Daniel Kübler spricht gar von einer «Reformresistenz»: «Das System ist darauf angelegt, dass es sehr langsam funktioniert und sich auch sehr langsam ändert.» Exemplarisch zeigt sich dies beim Ständemehr und beim Ständerat: Beides wurde bei der Gründung des Bundesstaates 1848 festgelegt, um den im Sonderbundskrieg unterlegenen, katholischen Kantonen entgegenzukommen und sie in den neuen, liberalen Bundesstaat zu integrieren. Heute spielen die konfessionellen Unterschiede politisch fast keine Rolle mehr, und das politische Gewicht der einzelnen Kantone entspricht immer weniger der Bevölkerungsstruktur der Schweiz. Da kleine und grosse Kantone im Ständerat und für die Berechnung des Ständemehrs aber gleich vertreten sind, führt dies dazu, dass die kleinen Kantone übermässig viel Einfluss haben: So hat beispielsweise die Stimme einer Urnerin 40-mal mehr Gewicht als jene einer Zürcherin.
Immer wieder gab es Vorschläge, Ständemehr und Ständerat zu reformieren und den Städten oder bevölkerungsreichen Kantonen mehr Gewicht zu geben. Das Problem ist nur, dass der Föderalismus diesbezüglich eine Einbahnstrasse ist, wie es Daniel Kübler sagt, denn: «Das System gibt den potenziellen Verlierern ein starkes Gewicht, ohne ihr Einverständnis kann man es nicht umbauen. Und man wird die kleinen Bergkantone nie davon überzeugen können, ihr Gewicht im Ständemehr oder im Ständerat zu reduzieren.»
Druck aus der Bevölkerung
Wenn im politischen System der Schweiz Veränderungen nahezu unmöglich scheinen, wie lässt sich die Demokratie trotzdem weiterentwickeln? Mit Druck aus der Bevölkerung, ist SP-Nationalrätin Nadine Masshardt überzeugt. «Dank Initiativen wie jener zur Transparenz kann der Druck aus dem Volk erhöht werden. So gelingt es doch ab und zu, entweder einen griffigen Gegenvorschlag zu einem Reformanliegen zu machen oder zumindest das Thema in einer breiten Öffentlichkeit zu diskutieren.» Die von Masshardt angesprochene Transparenz-Initiative ist eines der seltenen Beispiele für ein erfolgreiches Reformvorhaben der letzten Jahre. Nach langen, zähen Diskussionen um die von links-grüner Seite vorgebrachte Forderung, die Politikfinanzierung transparenter zu gestalten, stimmten National- und Ständerat 2021 einem Gegenvorschlag zur Transparenz-Initiative zu.