Die Medienlandschaft befindet sich in einem fundamentalen Wandel: Besonders die Generation Z weiss kaum mehr, wie sich Zeitungspapier anfühlt. Wie informieren sich die Jungen heute, insbesondere zu politischen Themen?
«Dieser Moment, wenn die fiktionalen Elemente in der Welt um uns herum immer mehr werden, bis zu dem Punkt, an dem es fast unmöglich wird, ‹Echtes› von ‹Falschem› zu unterscheiden – die Begriffe haben jede Bedeutung verloren.» Beschreibt da jemand treffend Fake News, Desinformation, KI-Manipulationen überall? Nein, das Zitat stammt vom Science-Fiction-Autor J. G. Ballard und ist schon über fünfzig Jahre alt, er schrieb es 1966. Die Diagnose hat offenbar eine Vorgeschichte. Ballard hat etwas vorweggenommen, was erst Ende der 1970er-Jahre so richtig ins allgemeine Bewusstsein dringen sollte: das seltsame Nichts-ist-mehr-sicher-Gefühl namens Postmoderne.
Postmoderne im Westen – und Osten
Ein, zwei Jahrzehnte lang kam keine kulturtheoretische Debatte um das Zauberwort herum, das postulierte, wir seien in einem neuen Zeitalter angekommen, noch immer Moderne, aber nicht mehr dieselbe. Diese Nach-Moderne, so bringt man es gemeinhin auf einen Nenner, muss ohne ein grosses gemeinsames Narrativ auskommen; sie ist vielgestaltig, fragmentiert, uneindeutig. Dann wurde es stiller um die Postmoderne, zumindest im Westen. Was wir nicht mitbekommen haben: Währenddessen «betrinkt sich Russland geradezu an all dem Relativismus». So drückt es Roman Horbyk aus. Der ukrainische Medienwissenschaftler und Spezialist insbesondere für Propaganda im Osten lehrt und forscht derzeit an der Universität Zürich. Erst in den 1990ern, nach dem Kollaps der Sowjetunion, wurden all diese Theorien zugänglich, es gab eine Menge aufzuholen. «Russland saugte diese Ideen aus dem Westen auf.» Horbyk nennt, was da entstand, ein wenig augenzwinkernd McLeninismus, die Verheiratung der Ideen von Lenin und Marshall McLuhan, seines Zeichens Hohepriester des postmodernen, alle Gewissheit auflösenden und – deshalb eben auch: desorientierenden – Denkens.
Bis alle die Orientierung verlieren
Einer passte dabei besonders gut auf: Vladislav Surkov. Er ist eine der zentralen Figuren im Film «Hypernormalisation» des Dokfilmers und BBC-Archivars Adam Curtis, in dem es um alles Mögliche geht: Syrien, Russland, künstliche Intelligenz, politische und weltanschauliche Turbulenzen allenthalben. Als enger Berater Putins und ehemaliger Avantgarde-Theatermacher legte es Surkow, so Curtis, darauf an, «Politik in ein seltsames Theater zu verwandeln, in dem niemand mehr wusste, was wahr und was unwahr ist». Die Leute um Surkow nannten sich «political technologists», meist ehemalige Dissidenten, die plötzlich an Putins Hof Anschluss fanden. Die eigentliche Machtstrategie des Kremls seither: die Menschen so sehr durcheinanderbringen, dass alle, auch die Opposition, die Orientierung verlieren. Oder wie es Surkow selbst mal beschrieben hat: Konflikte zu nutzen, um «die Wahrnehmung in einem konstant schwankenden Zustand zu halten, mit dem Ziel der Steuerung und Kontrolle».
Der Medienwissenschaftler Horbyk kennt die schillernde Figur Surkow und seine besondere Biografie gut: «Man sollte ihn vielleicht nicht Artist, sondern Con-artist nennen», einen perfekten Illusionär und Hochstapler. Auf jeden Fall habe er sich dank seinem Kulturwissen sehr gut ausgekannt mit all den Postmoderne-Theorien, und er habe realisiert, dass man den Westen so gewissermassen mit den eigenen Waffen schlagen kann: Dass alle Realität konstruiert ist, dass letztlich jeder seine eigene Wahrheit besitzt. Dieser postmoderne Relativismus: Den hat der Westen selber geprägt.