Die Schweiz ist international bekannt für ihre sauberen Flüsse und Seen. Das war nicht immer so: Bis weit ins 20. Jahrhundert gelangten Abwässer von Siedlungen und Industrie ungeklärt in die Umwelt. Erst mit dem Gewässerschutzgesetz von 1955 begann die Erfolgsgeschichte der Kläranlagen. Diese stehen heute allerdings vor neuen Herausforderungen.
Es gibt da einen grossen Stolperstein in Sachen Wasser und Wirtschaft: Geht es bei der Wasserversorgung eigentlich um die Infrastruktur – das Wasser liefe dann gewissermassen gratis durch diese teuren Kanäle? Oder geht es um das Wasser an sich, als Ware? Machte man eine Strassenumfrage, könnte wohl niemand sagen, was ein Liter Wasser (oder eine lange Dusche) konkret kostet, in Franken. Tatsächlich ist Wasser so billig, dass man es, seit es einfach aus dem Wasserhahn kommt, als grossen Gleichmacher bezeichnen kann. Ob reich oder arm, wir alle spülen unsere Toiletten, putzen unsere Zähne und machen unsere Eiswürfel mit dem gleichen Wasser. Aber ein Geschäft ist Wasser natürlich trotzdem, zumindest ein potentielles.
Mit Privatisierungen öffentliche Finanzlöcher stopfen
Beim Wasser ist es wie bei jeder grossflächigen Ingenieurs-Leistung: Derlei Infrastrukturen zu bauen und zu unterhalten ist richtig teuer. Wer kann das stemmen? Im aktuellen wirtschaftspolitischen Umfeld fast nur private Akteure, sagt Andrea Muehlebach. Die Kulturwissenschaftlerin und Professorin an der Universität Bremen untersucht seit Jahren den Aktivismus gegen Wasser-Privatisierungen, sie hat dazu ein überaus lesenswertes Buch geschrieben («A Vital Frontier: Water Insurgencies in Europe», 2023). Es ist letztlich ein politischer Entscheid: Nimmt man die entsprechenden öffentlichen Gelder in die Hand oder knausert man? Wenn die Bereitschaft dafür nicht da ist, springen gern private Geldgeber ein. Oft können sie die Bedingungen der Deals definieren, was etwa im Fall der Wasserwerke Berlin den Geldgebern Gewinne über Jahre garantiert hat. Das hat entsprechend für Proteste gesorgt, inzwischen sind die Wasserwerke wieder in öffentlicher Hand. Ausserdem könne man mit wertvoller Infrastruktur «unglaublich schnell Löcher in Haushaltbudgets stopfen», sagt Muehlebach. Das mache Privatisierungen so verlockend für Politiker, die auf kurzfristige Erfolge aus sind. Tatsächlich scheint es, als erlebe Wasser im 21. Jahrhundert seinen grossen Wirtschaftsmoment, nachdem es lange eher als Gemeingut angesehen wurde, als explizites Nicht-Geschäft. Zur Jahrtausendwende verstärkten sich die Tendenzen hin zu einer «Finanzialisierung» des Wassers. Es gibt inzwischen komplexe Finanzinstrumente, die speziell auf den Wassersektor ausgerichtet sind, wie wasserfokussierte Investmentfonds oder strukturierte Wasserprodukte.
Aber von vorne, der Umgang mit dem Trinkwasser war immer schon unsicheres Terrain: Wer sollte da Verantwortung übernehmen, wer bezahlt, wer profitiert? Wem gehört das Wasser überhaupt? Der Allgemeinheit oder dem Grundbesitzer auf dessen Land eine Quelle entspringt? Das ist zeitlich wie räumlich immer wieder anders geregelt worden.
Kantönligeist auch beim Wasser
Der Historiker Martin Illi kennt die Geschichte gut, er hat sich eingehend mit der Entwicklung der Wasserversorgung in der Schweiz beschäftigt. Nach dem Mittelalter ging die Versorgung (meist waren das Brunnen) von den Klöstern über in den Gemeindebesitz. Aber auch die Flüsse lieferten Trinkwasser, deshalb «gab es immer genug Wasser für alle: Verdurstet ist keiner», sagt Illi. Die Frage sei einfach gewesen, wie weit die Wege waren, die man gehen musste, um zu Wasser zu kommen. Beim Übergang zur modernen Rechtsordnung habe die Schweiz dann zwei Fehler gemacht: Erstens habe sie es verpasst, das Frauenstimmrecht einzuführen, und zweitens habe man die Nutzung des Trinkwassers nicht zu einer Sache der Öffentlichkeit erklärt – bei Mühlnutzungen zum Beispiel sei man konsequenter gewesen.
Tatsächlich zeigt sich die darauffolgende Unsicherheit schön im Kantönligeist: Zürich habe das von Anfang an richtig gemacht, rekapituliert Illi: alle privaten Wasserversorgungen kamen in die öffentliche Hand. In Basel dagegen entschied man sich für eine private Gesellschaft, die aber nicht bereit war, für die gesamte Bevölkerung zu sorgen, die teure Wasserversorgung kam nur den vermögenden Quartieren zugute. Das sorgte bald für Unmut, das Experiment dauerte nicht allzu lange.
Kaum private Investitionen in die Infrastruktur
Doch zurück in die Gegenwart: Vor kaum zehn Jahren wurde Wasser von der UNO als Menschenrecht deklariert, erklärt Andrea Muehlebach. An der letzten UNO-Wasser-Konferenz 2023 habe jedoch ein ganz anderer Tenor geherrscht: An der Konferenz hätten sich unzählige private Finanzakteure getummelt, Public-Private-Partnerships seien überall gepusht worden. In Brasilien («ein paradigmatischer Fall») gehe die Privatisierung mit einem Tempo vonstatten, wie es Anti-Privatisierungs-Aktivisten vor Ort noch nie gesehen hätten. Dabei fällt auf: «Schlechte finanzpolitische Entscheide» gehorchtem keinem simplen rechts-/links-Muster: Schliesslich folgte auf den Ultrarechten Bolsonaro an der Spitze Brasiliens vor zwei Jahren der Linkspolitiker Lula – die Privatisierung schreitet dennoch ungebremst voran.
Gleichzeitig wuchs der Gegen-Aktivismus: Gegen die Logik der dauerhaften Verschuldung, auf die das Finanzwesen setzt, betonen Wasserbewegungen eine «transzendente» Schuld, die Menschen gegenüber dem Wasser und damit gegenüber dem Leben an sich immer schon eingegangen sind. Sollte man die Bereitstellung von Wasser also als «Service Public» ansehen, oder hat man es da ganz schnöde mit einer Sache zu tun, die sich beschaffen und verkaufen lässt wie Kaffee oder Heizöl? Profitabel kann natürlich beides sein, im Prinzip. In der konkreten Praxis aber eigentlich nur, wenn man unlautere Deals zulässt. Denn Fakt ist: Private Unternehmen haben nie viel in Wassersysteme investiert. In allen Ländern Europas und Nordamerikas hat der öffentliche Sektor für die Infrastruktur bezahlt. Selbst in Frankreich, wo es eine lange Tradition privater Wasserunternehmen gibt, investierten diese kaum in die Erweiterung der Systeme – die Gemeinden mussten alle Investitionen selbst tätigen. Höhere Preise sind dennoch oft die Folge: Im Vereinigten Königreich stiegen die Wasserpreise in den 17 Jahren nach der Privatisierung weitaus stärker als die Teuerung, obwohl sich die Betriebskosten nicht geändert hatten. Da hatte offensichtlich jemand Lust auf dicke Gewinne.
Erfolgreicher Druck von der Strasse
In den letzten Jahren schwingt das Pendel eher zurück: Gerade in Frankreich, der Heimat der grössten multinationalen Wasserunternehmen (wie Suez und Veolia), haben sich viele Städte die privatisierten Versorgungen zurückgeholt, was nicht zuletzt auf den Druck von der Strasse zurückzuführen war. Tatsächlich sind die Wasserversorgungen in über 90 Prozent der grössten 400 Städte der Welt im Besitz des öffentlichen Sektors. In kleinen Städten und ländlichen Gebieten ist der Anteil noch höher. Es gibt aber auch europäische Länder in denen die Mehrheit der Wasserdienstleistungen privatisiert ist: England, Spanien und die Tschechische Republik, Frankreich gehört auch immer noch dazu. Die Niederlande hingegen verabschiedeten 2004 sogar ein Gesetz, das es allen ausser öffentlichen Organisationen verbietet, Wasserdienstleistungen zu betreiben. Und Italien lehnte 2011 ein Gesetz zur Erleichterung der Wasserprivatisierung ab, auch hier waren Aktivistinnen und Aktivisten federführend bei der Opposition.
Besonders hoch gehen die Wellen derzeit in England: Der Fall Thames Water, vielleicht das Beispiel für eine gescheiterte Privatisierung der Wasserversorgung, beschäftigt nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch Parlament und Gerichte. Das Unternehmen, das seit 1989 für die Londoner Wasserversorgung zuständig ist, kämpft seit Jahren mit Finanzproblemen. Diese haben sich in letzter Zeit aufgrund von hohen Bussen noch verschärft – auferlegt von der öffentlichen Hand, wegen Umweltsünden. Diese wiederum kann Thames Water wegen maroder Infrastruktur kaum verhindern. Aktuell steht eine Schuldentilgung und eine «Verramschung» an eine Holding in Hongkong zur Diskussion. Die Kampagnenleiterin der NGO «River Action» sieht die Krise als Chance, «einen neuen Kurs einzuschlagen und nicht dieselben Fehler zu wiederholen, indem man Thames Water an ausländische Käufer verscherbelt, die auf ein Schnäppchen aus sind.»
Klimakrise befeuert Spekulationsfieber
Und man weiss ja: Schnäppchen ziehen Finanzhaie an. Also kaufen Banken, Pensionskassen, Unternehmensbeteiligungskonzerne und Aktienfonds in einer Art spekulativen Fieberwahn vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern beachtliche Anteile der öffentlichen Wasserversorgung auf. Zynischerweise spielt ihnen dabei die Klimakrise in die Hände: Knappheiten befeuern Märkte, bekanntlich. Als Anlageklasse werde Wasser, so eine Goldman-Sachs-Analyse, bald Kupfer, Landwirtschaftsprodukte und seltene Erden überholen. Der rigorose Sparkurs, den man austeritätsgeschüttelten Länder auferlegt, erleichtert diesen weltweiten «Water Grab» (Wasserraub), wie er in Aktivistenkreisen genannt wird. In Entwicklungsländern wiederum wirken die Weltbank, der IWF und multinationale Unternehmen ganz explizit auf Privatisierungen hin, was noch auf den «Washington-Konsens» aus den 1980ern und 1990ern zurückgeht. Dieser empfahl für krisengeschüttelte Entwicklungsländer explizit Massnahmen zur Förderung des freien Marktes.
Dabei müssten es diese mächtigen Akteure eigentlich besser wissen: Eine Prüfung empirischer Belege für Wasser- und Energieversorgungsunternehmen durch die Weltbank im Jahr 2005 kam zu dem Schluss, dass es «keinen statistisch signifikanten Unterschied in den Effizienzwerten zwischen öffentlichen und privaten Anbietern» gab. Um Effizienz allein kann es also nicht gehen.
Wasser gehört in öffentliche Hand
Die Geschichte wiederhole sich immer wieder, sagt Andrea Muehlebach gegen alle Evidenz glaube man denselben Schlagworten von Effizienz und Wettbewerb (was im Fall von Wasser noch ein wenig absurder ist als andernorts, weil es sich bei Wasserversorgungen eigentlich immer um Monopole handelt). «Der politische Betrieb ist sehr schnelllebig, es kommen immer wieder neue Entscheidungsträger, die mit denselben Floskeln hantieren.» So werde die Privatisierung beispielsweise immer als alternativlos dargestellt, klagt Muehlebach, dabei gäbe es durchaus Alternativen: Mancherorts hätte man zum Beispiel sogenannte Public Public Partnerships erfolgreich erprobt.
Und dann gibt es Länder wie der die Niederlande und die Schweiz, wo es eine ausgemachte Sache ist: Wasserversorgung gehört in öffentliche Hand. Das ist auch Martin Illis Bilanz für die Schweiz: Egal wo man es mit privaten Anbietern probiert habe, irgendwann habe es sich nicht mehr gerechnet. Obwohl in der Schweiz (im Gegensatz zu den Niederlanden) eine griffige rechtliche Grundlage fehlt, die Wasser den Status einer notwendigen Infrastruktur zuschreibt, hat man auch in der föderalistischen Kleinteiligkeit überall erkannt, dass Wasser nicht in private Hände gehört, nach ein paar historischen Umwegen zumindest. Andernorts dagegen braucht es immer wieder den Aufstand von unten, und Muehlebach ist durchaus optimistisch, dass der auch immer wieder Wirkung zeigt: «Ich glaube, dass Wasser eines der Themen ist, mit dem man am besten politisch mobilisieren kann.»